Dienstag, 01 August 2023 11:12

Tierversuche in Europa: Erst einmal weitaus mehr Tierversuche als geplant Empfehlung

Entwürfe zur Aktualisierung der EU-Chemikalienverordnung weisen darauf hin, dass die Zahl der Tierversuche für die Sicherheitsbewertung in den kommenden Jahren stark ansteigen wird. Eine neue Studie bestätigt dies und zeigt, dass die ursprünglich erwartete Zahl von vier Millionen Tieren bereits jetzt überschritten ist.


Die EU will Chemikalien sicherer machen, indem sie die weltweit 350.000 offiziell registrierten Substanzen nachträglich auf ihre potenzielle Gesundheitsgefährdung hin testen lässt. Auf Basis der REACH-Verordnung werden die Chemikalien in den meisten Fällen an Tieren getestet. Zu Beginn der Beratungen ging die EU-Kommission davon aus, dass dies etwa vier Millionen Tiere das Leben kosten würde. Eine aktuell veröffentlichte Studie von Prof. Thomas Hartung und KollegInnen1 dagegen belegt jedoch, dass diese Zahl weit höher liegt – und dass sie steigen wird. Die StudienautorInnen stellen fest, dass allein 4,2 Millionen Tiere für Tests sterben, um die REACH-Anforderung für die drei systemischen Endpunkte Toxizität bei wiederholter Gabe, Reproduktionstoxizität und Entwicklungstoxizität zu erfüllen. Dafür wurden bis Dezember 2022 etwa 2,9 Millionen Tiere verwendet. Zusätzliche Tests mit mindestens 1,3 Millionen weiteren Tieren sind geplant.

Zusätzlich werden durch die aktuelle Überarbeitung des Anhangs der REACH-Verordnung schätzungsweise weitere 3,6 bis 7 Millionen Tiere hinzukommen. Es sollen zwar einige Testrichtlinien gestrichen werden, wie die auf Haut-, Augenreizung oder Hautsensibilisierung, doch es kommen gleichzeitig zusätzliche Tests hinzu, etwa zur Identifizierung hormonwirksamer, immunbeeinflussender und die Entwicklung schädigender Stoffe. Außerdem sollen zusätzlich Substanzen getestet werden, die in geringeren Mengen in Verkehr gebracht werden.

Ein Workshop der Europäischen Chemikalienagentur ECHA Ende Mai Anfang Juni ergab, dass die Chemikalienbehörde neue tierleidfreie Methoden nur in ihr Programm integrieren will, „wenn es einen eindeutigen Mehrwert für ihre Gesamtbewertung bietet“. Davon betroffen ist eine mit der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA ausgearbeitete tierversuchsfreie Teststrategie. Sie wurde in der REACH-Novelle bisher nicht berücksichtigt. Die Konsequenz: Jetzt sind Tests an Tieren zur Beurteilung der Entwicklung des Nervensystems vorgesehen, obwohl dies auch ohne Tierversuche möglich wäre.

Dem entgegen kann sich die angekündigte Entwicklung eines Fahrplans mit legislativen und nichtlegislativen Maßnahmen zur weiteren Reduzierung von Tierversuchen und deren Umsetzung2 noch hinziehen. Bis dahin werden unzählige Tierversuche gelaufen sein. In Hinblick auf die Förderung neuer Ausbildungsinitiativen für Nachwuchswissenschaftler wird auf die Mitgliedstaaten und nationale Behörden verwiesen und hier die Koordinierung angeboten. Ob die angekündigte angemessene Finanzierung zur Entwicklung alternativer Ansätze die Beendigung von Tierversuchen beschleunigt bleibt abzuwarten.

Quelle:
1 https://www.altex.org/index.php/altex/article/view/2665/2550
2 https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/e%20n/ip_23_3993