Dienstag, 06 Oktober 2015 12:11

Fachgespräch zu Tierversuchsersatzverfahren im Deutschen Bundestag Empfehlung

Unter dem Motto "Alternativlos? Tierversuche und die Zukunft der Forschung" hatte die Fraktion Bündnis 90/Grüne am 2. Oktober in den Deutschen Bundestag geladen. Zu dem Fachgespräch mit anschließender Diskussion waren VertreterInnen aus Wissenschaft, Industrie, dem Bundesinstitut für Risikobewertung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und vom Tierschutz geladen. Es ging um den wissenschaftlichen Stand der Technik zu tierversuchsfreien Methoden, die neue Ära der humanrelevanten Methoden und um die Schwierigkeiten bei der Finanzierung neuer, tierversuchsfreier Verfahren.

 


Fachgespräch zu tierversuchsfreien Methoden im Deutschen Bundestag (von rechts nach links: Dr. Joachim Coenen, Dr. Reyk Horland, Prof. Ellen Fritsche, Kai Gering (Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung der Fraktion Bündnis 90/Grüne), Nicole Maisch (Tierschutzpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Grüne), Dr. Roman Kolar, Prof. Gilbert Schönfelder, Dr. Mardas Daneshian und Prof. Gerhard Heldmaier).
Foto: Christiane Hohensee

 

Welche Forschung müsste intensiviert werden, um den Tierversuch abzulösen?

Prof. Dr. Ellen Fritsche vom Leibniz Institut für umweltmedizinische Forschung informierte als Einstieg darüber, welche Tierversuche bereits jetzt schon durch neue tierversuchsfreie Methoden ersetzt werden können. Die Gesetzgebung gemeinsam mit der technologischen Entwicklung habe es bewirkt, dass die Toxizitätstestung auf Sicherheit in der Kosmetik und viele Prüfmethoden bei der OECD heute ohne Tierversuche durchgeführt werden. Mittlerweile nutze man in der Stammzellforschung induzierte pluripotente Stammzellen, jedoch brauche man eine veränderte Gesetzgebung, um das einzusetzen.

Dr. Reyk Horland vom Unternehmen TissUse berichtete über die Entwicklung der Chipsysteme: Anfangs seien die Deutschen 2010 mit der Förderung
der ersten Chipentwicklungen die ersten auf dem Gebiet gewesen. TissUse hätte mittlerweile zwei-Organ-Chips und Vier-Organ-Chips in Marktreife gebracht, sie würden in Kosmetik und Pharmazie eingesetzt. Was noch fehle, sei eine Kombination aus verschiedenen Miniaturorganen auf den Chip, daher fänden noch immer Tierversuche statt. Die amerikanische FDA und die NIH sei inzwischen jedoch weiter als die Deutschen. TissUse will mit seiner Human-on-a-Chip-Technologie den Großteil der Tierversuche künftig ersetzen.

Dr. Joachim Coenen, Tierschutzbeauftragter von Merck und u.a. anderem Mitglied im Unterausschuss Tierschutz/Tierversuche des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller kritisierte, dass das Zulassungsverfahren zu lange dauere: Validierungsverfahren, die 16 Jahre für sich in Anspruch nehmen, dauerten zu lange. Neue Verfahren dürften jedoch auch nicht Hals über Kopf zugelassen werden. Bei der gesetzlichen Umsetzung von neuen Methoden könnte man allein durch eine konstrukive Zusammenarbeit zwischen Industrie, Politik und Behörden einige Tierversuche ersetzen. Ein Problem sei, dass wenn in Deutschland Tests mit tierversuchsfreien Methoden durchgeführt werden dies noch lange nicht bedeute, dass andere Länder diese Methoden für sinnvoll halten. Nötig sei eine weltweite Zusammenarbeit von Forschern, Zulassungsbehörden und Politik.

Auf die Frage, in welchen Bereichen es schwierig sei, tierversuchsfreie Verfahren zu plazieren, wies Prof. Fritsche auf zwei Felder hin: die Reproduktionstoxikologie und die Karzinogenität. Hier bestünde auf jeden Fall noch Forschungsbedarf. Dr. Coenen bestätigte dies und ergänzte, dass das Unternehmen Merck im Bereich der Reproduktionstoxikologie bereits viele Einzeltests zum Screenen auf Nebenwirkungen einsetze, die bestehenden Methoden sollten jedoch zusammengefasst werden und könnten dann zahlreiche Tierversuche ersetzen.

Ohne Tier keine Publikation und kein Geld

Heute könne man noch immer kaum publizieren, wenn kein Tierversuch dabei sei, kritisierte Prof. Fritsche. Die Frage nach der Humanrelevanz spiele
noch immer keine Rolle, obgleich die Forschung für den Menschen gemacht werde. Die EU stecke zwar Mittel in die AOP-Konzeption, diese von
den USA entwickelte Konzeption, bei der das letztliche Endziel eine Computervorhersage sei, müsse noch stärker gefördert werden.

Dr. Coenen meinte, man solle kritisch hinterfragen, ob es wirklich nötig, ein gentechnisch verändertes Tier erst einmal herzustellen. die Crisp/Cas-
Technologie sei problematisch, weil man ein Tier mit einer genetischen Veränderung zur Erforschung von Humanerkrankungen mal schnell so herstellen kann. Daher stiegen auch die Tierversuchszahlen. Ein kritisches Umdenken sei nötig, weniger durch die Gesetzgebung, sondern eher bei den Vergabekriterien für Forschungsmittel.

Prof. Fritsche ergänzt, es sei problematisch, einen Forschungsantrag durchzubekommen, in dem kein Tierverbrauch mit vorgesehen ist. Es hinge
natürlich auch davon ab, wer den Antrag begutachte. Mit Blick auf den Vorsitzenden der Senatskommission für tierexperimentelle Forschung
der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Heldmaier, ermunterte sie die DFG, darauf Wert zu legen. Sie würde sich freuen, wenn es
einfacher wäre, bei der DFG Mittel einzuwerben.

450 Projekte mit 145 Millionen Euro hat das BMBF zwischen 1980 und 2014 gefördert. Das klingt viel - ist es aber nicht, denn es sind nur rund 4,3 Millionen pro Jahr, die da zur Verfügung gestellt werden oder 0,002 Prozent des Gesamtforschungsetats, wie Dr. Mardas Daneshian, Leiter des neuen Steinbeis-Transferzentrums CAAT-Europe vorrechnete. Im Vergleich zu Groß-Britannien, das 4 x mehr Mittel für die neuen Methoden zur Verfügung stellte. Die USA sowie die Schwellenländer China und Brasilien stellten weitaus mehr Mittel zur Verfügung als Deutschland. Mit den humanrelevanten Methoden sei eine neue Ära angebrochen und die USA haben das erkannt und investierten in Wissenschaftler. Wenn Deutschland das nicht so macht, warnte er eindringlich, werde es hinterher hinken. Man müsse investieren, um die Wissenschaftskapazitäten aus den humanrelevanten Methoden auszunutzen.

Ein Manuskript wird abgelehnt, wenn man nicht zeigen kann, dass es biologisch relevant ist

Nun war es an Prof. Heldmaier, den Vorsitzenden der DFG, sich zu äußern. Es sei ein falscher Eindruck erweckt worden, denn jeder könne
einen Antrag stellen, wenn er gut genug sei. Die DFG fördere Bottom-Up-Forschung und gäbe die Forschungsinhalte nicht vor. Es gäbe
ein Kommunikationsproblem: wenn ein Antrag auf Tierversuche in den Lebenswissenschaften gestellt würde, führe dies auch dazu, dass
die Erkenntnisse heraus den heutigen Chipentwicklungen nützen. Er könne dem zustimmen, dass die Mittel sehr begrenzt seien und der Antrag-
steller darunter leide, wenn sein Projekt nicht weiter finanziert würde, weil ein anderes Projekt besser bewertet worden sei.
Die Rechtfertigung der Verwendung transgener Tiere würde auch nicht von der DFG, sondern von externen Gutachtern vorgenommen. Man könne
durchaus auch Anträge ohne Tierversuch durchbekommen. Ein Manuskript werde dann abgelehnt, wenn man nicht zeigen könne, dass es
biologisch relevant ist.

Idee: Sonderforschungsbereich Ersatzmethoden zum Tierversuch

Dr. Roman Kolar, Leiter der Akademie für Tierschutz beim Deutschen Tierschutzbund forderte dazu auf, die Bewertungsmethoden kritisch
zu hinterfragen. Oft seien die Gutachter die gleichen, die selbst Tierversuche durchführen. Es könne zudem nicht sein, dass eine aus Steuermitteln finanzierte Fördereinrichtung das Staatsziel Tierschutz nicht abdecke. Im Gegenteil dazu gäbe es aber einen Sonderforschungsbereich Primaten. Es müsse konstruktiv darüber nachgedacht werden, welchen Beitrag die DFG zur Entwicklung tierversuchsfreier Methoden leisten kann, z.B. einen Sonderforschungsbereich "Ersatzmethoden zum Tierversuch" einzurichten.

Dementgegen vertrat Prof. Heldmaier die Ansicht, man bräuchte eine große konzertierte Aktion, um in den Lebenswissenschaften voranzuschreiten.

Prof. Gilbert Schönfelder, Leiter des Zentrums zur Erfassung und Bewertung von Alternativen zum Tierversuch (ZEBET), gab einen kurzen Einblick
in die zukünftige Arbeit des neuen Zentrums zum Schutz von Versuchstieren (InVitro+Jobs berichtete hier). Es sei in Europa das einzige
Zentrum, das politisch mandatiert ist und gleichzeitig selbst Forschungsarbeit leistet, um Tierversuche auf das unerlässliche Maß zu
beschränken. Das BfR finanziert selbst Forscher, die tierversuchsfreie Methoden entwickeln. Er kritisierte, dass den eingereichten Anträgen auf
Förderung nicht genügend Kreativität zu entnehmen sei. Die Anträge seien nicht auf dem hohen wissenschaftlichen Niveau, wie sie es gerne
hätten.

Dr. Daneshian von CAAT-Europe, das am bislang deutschlandweit noch einzigen Lehrstuhl für in-vitro-Toxikologie und Biomedizin in Konstanz,
entgegnete, dass man sich darüber nicht wundern müsse. Wenn man Kreativität in Deutschland haben wolle, müsse man sie kultivieren.

Prof. Schönfelder schlug vor, eine Stiftung mit Kapital aus staatlichen Mitteln und Mitteln der Industrie zu initiieren, mit dem Ziel,
Prä-Validierungsstudien und Validierungsstudien zu finanzieren, damit neue Methoden schneller durch den Prozess im Rahmen der regulatorischen
Toxikologie gelangen können.