Freitag, 15 Januar 2010 09:30

Erprobung neuer Arzneiwirkstoffe: Künstliches Gefäßsystem soll Tierversuche ersetzen

Ein Flusskammersystem soll die Echtzeitbeobachtung des Verhaltens lebender Zellen in den Gefäßen eines künstlich geschaffenen Zellverbandes ermöglichen.

Pressemitteilung der Friedrich-Schiller-Universität Jena (11.01.2010):

Zellen im Überwachungskanal
Uta von der Gönna, Stabsstelle Kommunikation/Pressestelle

Künstliches Gefäßsystem soll Tierversuche bei der Erprobung neuer Arzneiwirkstoffe ersetzen

(Jena) Gemeinsam mit den Industriepartnern AVISO GmbH, Polymet e. V. und Carl Zeiss MicroImaging GmbH arbeiten Wissenschaftler des Universitätsklinikums Jena (UKJ) an der Entwicklung eines Flusskammersystems, das die Echtzeitbeobachtung des Verhaltens lebender Zellen in den Gefäßen eines künstlich geschaffenen Zellverbandes ermöglicht. Das vom Freistaat Thüringen geförderte Entwicklungsvorhaben zielt auf die Einsparung von Tierversuchen in der Wirkstoffforschung.

Die Wanderung von Zellen innerhalb des Gefäßsystems und die Wechselwirkung mit den Zellen der Gefäßwand spielen eine zentrale Rolle bei nahezu allen Lebensprozessen - auch bei der Entstehung von Krankheiten. Beispiele hierfür sind Krebszellen, die sich von einem Tumor lösen, sich über die Blutbahn verbreiten und an anderer Stelle weitere Tumore bilden, oder auch kleinste Verletzungen an der Arterieninnenhaut, die Ablagerungen von Blutfetten begünstigen und so zum Verstopfen von Arterien führen. Wegen der Vielzahl biologischer, chemischer und auch physikalischer Faktoren, die diese Prozesse beeinflussen, sind bei der Suche nach neuen Pharmawirkstoffen Tests im Reagenzglas, in vitro-Versuche, nicht ausreichend. Kandidaten für neue Medikamente müssen in vivo, im lebenden Organismus, getestet werden - also im Tierversuch.

"Neben dem großen ethischen Problem haben wir in der gefäßmedizinischen Forschung den Nachteil, dass wir nach der Tötung des Tieres und der Präparation des Gefäßes immer nur eine Momentaufnahme vom Krankheitsprozess sehen", gibt Dr. Sandy Mosig vom Jenaer Universitätsklinikum zu bedenken. "Eine Echtzeitanalyse der physiologischen Vorgänge, die Wochen oder Monate andauern, ist so nicht möglich." Der Zellbiologe in der Arbeitsgruppe Molekulare Hämostaseologie würde die Zellen auf ihrem Weg durch Blut- oder Lymphgefäße am liebsten direkt beobachten.

Das jetzt gestartete Entwicklungsvorhaben, in dem neben dem UKJ die AVISO GmbH, der Verein POLYMET Jena und die Carl Zeiss MicroImaging GmbH mitarbeiten, will die Medizinforscher diesem Ziel ein Stück näher bringen. Entstehen soll ein Flusskammersystem, das außerhalb des Körpers und steuerbar die Bedingungen der Zellwanderung nachbildet, so dass die Zellreaktionen mit Hilfe modernster optischer Abbildungsverfahren unmittelbar verfolgt werden können. "Unser Ziel ist ein Gefäß-Modell mit vollständigem, aus mehreren Zelltypen bestehendem Wandgewebe, das echten Blutgefäßen sehr nahe kommt, und in dem wir wichtige physiologische Parameter einzeln regulieren können", so Mosig.

Die AVISO GmbH, Spezialist für die Entwicklung und Fertigung von Laborsystemen für die biomedizinische Forschung, wird die Entwicklung der Geräte- und Steuerungstechnik im Projekt übernehmen. Die Lieferung und applikative Unterstützung des fluoreszenzmikroskopischen Auswertungssystems übernimmt die Carl Zeiss MicroImaging GmbH. Die Wissenschaftler um Prof. Dr. Dieter Klemm vom POLYMET Jena e. V. haben große Erfahrung im Design von Biomaterialien auf der Grundlage bakteriell synthetisierter Nanocellulose, die auch als Blutgefäßersatz dienen können. Auf einem solchen Gerüst aus Nanocellulose sollen die Zellverbände aufwachsen, die die Gefäßwände des Modells bilden werden. Mit Hilfe modernster elektronenmikroskopischer Verfahren werden die Wissenschaftler des Elektronenmikroskopischen Zentrums am UKJ die feinsten Strukturen im Aufbau der künstlichen Blutgefäße charakterisieren.

Das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie unterstützt die Kooperation mit über einer Million Euro. In zwei Jahren wollen die Partner einen Prototyp präsentieren. "Damit wollen wir die Zahl der benötigten Tierversuche in der Gefäßforschung substantiell senken und durch kostengünstigere und reproduzierbare in vitro-Untersuchungen ersetzen", sagt Projektleiter Dr. Mosig.

Kontakt:
Dr. Sandy Mosig
Arbeitsgruppe molekulare Hämostaseologie
Universitätsklinikum Jena, 07740 Jena
Tel.: 03641/934813
E-Mail: sandy.mosig[at]med.uni-jena.de

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