Inno4Vac ist ein Projekt der Innovative Medicines Initiative (IMI), eine europäische Partnerschaftsinitiative. Es wird Experten aus den verschiedensten Disziplinen zusammenbringen, um technologische Fortschritte zu nutzen mit dem Ziel, Impfstoffe schneller und effizienter zu entwickeln und auf den Markt zu bringen1.
Im Projekt werden sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Computerentwicklungen beschäftigen, aber auch neue in vitro-Modelle zur Erforschung bestimmter Infektionskrankheiten auf der Grundlage menschlicher Stammzellen entwickeln. Die Projektsumme beträgt insgesamt 38.542.552 Euro, wobei die IMI etwas mehr als 18 Mio. Euro trägt. Fast 20 Mio. werden von EFPIA übernommen, ein Zusammenschluss der europäischen Pharmazeutischen Industrie.
Privatdozent Dr. Alexander Mosig ist Leiter der Forschungsgruppe INSPIRE – In Vitro Sepsis Research, am Center for Sepsis Control and Care des Universitätsklinikums Jena und einer der beteiligten Wissenschaftler. Für seine Projektforschung stehen ihm 800.000 Euro zur Verfügung. Wir sprachen mit ihm über seine geplanten Forschungsarbeiten im Projekt Inno4Vac.
InVitro+Jobs:
Herr Dr. Mosig: Was soll genau untersucht werden und welche in-vitro-Methoden kommen zur Anwendung?
Dr. Mosig:
Inno4vac befasst sich mit vier Kernbereichen: im ersten wird künstliche Intelligenz für die In-silico-Vorhersage der Immunantwort und der Wirksamkeit von Impfstoffen eingesetzt. Im zweiten wird eine modulare Rechenplattform für die In-silico-Modellierung der Bioproduktion von Impfstoffen und für Stabilitätstests entwickelt. Im dritten werden neue und verbesserte kontrollierte humane Infektionsmodelle unter anderem für die Erforschung von Influenzaviren (CHIM), respiratorischer Synzytialviren2 (RSV) und die Clostridium difficile-Forschung entwickelt, um eine frühzeitige Bewertung der Impfstoffwirksamkeit zu ermöglichen. Im vierten Kernbereich werden neue zellbasierte menschliche In-vitro-3D-Modelle zur zuverlässigen Vorhersage des Immunschutzes entwickelt.
Unsere Arbeitsgruppe wirkt am vierten Projekt mit, wo wir Infektionsmodelle für Viren und Bakterien auf Basis künstlicher Modelle des Darms und der Lunge entwickeln. Die Gewebemodelle werden aus humanen Stammzellen erzeugt. Bei der Entwicklung der Infektionsmodelle kooperieren wir in Jena mit dem Institut für Medizinische Mikrobiologie und innerhalb des Konsortiums mit Kollegen aus Deutschland, den Niederlanden, Italien und dem Vereinigten Königreich.
InVitro+Jobs:
Wird dabei ein Zwei-Organ-Modell auf dem Chip entwickelt?
Dr. Mosig:
Nein, wir entwickeln organspezifische Infektionsmodelle für unterschiedliche Pathogene. Eine Verschaltung der Organe untereinander ist zunächst nicht vorgesehen.
InVitro+Jobs:
Spielen dabei Immunzellen auch eine Rolle?
Dr. Mosig:
Immunzellen spielen eine sehr wichtige Rolle. Wir entwickeln deshalb isogenetische3, immunkompetente Organmodelle für unsere Infektionsstudien und die Testung von spezifischen Wirkstoffen damit.
InVitro+Jobs:
Wieso wird genau der Darm untersucht?
Dr. Mosig:
Wir arbeiten unter anderem mit humanen Noroviren und dem Bakterium Clostridioides difficile. Beide Erreger spielen primär im Darm eine Rolle.
InVitro+Jobs:
Worum geht es genau bei der Untersuchung dieses Durchfallerregers?
Dr. Mosig:
Unser Ziel ist zunächst die Entwicklung eines zuverlässigen und reproduzierbaren Infektionsmodells für das humane Norovirus im Labor. Anschließend sollen unterschiedliche Ansätze zum Schutz vor Infektionen mit dem Norovirus untersucht werden. Diese sollen helfen, die jährlich auftretenden Infektionswellen des Virus abzumildern oder evtl. sogar davor zu schützen.
InVitro+Jobs:
Welche Immunzelltypen lassen sich denn mittlerweile in die Modelle integrieren und wie werden diese isogenetischen Zellen isoliert bzw. generiert?
Dr. Mosig:
Wir fokussieren uns hier zunächst auf Immunzellen des angeborenen Immunsystems, vor allem Natürliche Killerzellen, Makrophagen, Monozyten und Dendritische Zellen. Diese werden aus iPSC Linien differenziert, aus denen wir auch die jeweils passenden Endothel- und Epithelzellen differenzieren.
InVitro+Jobs:
Kann man sagen, dass die in vitro-Modelle mittlerweile die Situation im menschlichen Körper gut nachbilden können?
Dr. Mosig:
Das kann man so pauschal nicht beantworten. Alle Modelle, ob in vitro oder ein Tiermodell, haben Einschränkungen und können die in vivo Situation beim Patienten nur eingeschränkt abbilden. Das liegt im reduktionistischen Ansatz eines Models, der aber auch Vorteile bietet, wenn es um die detaillierte Untersuchung von Teilaspekten von Erkrankungen geht. Deshalb entwickeln wir unsere in vitro-Modelle für spezifische Fragestellungen und definierte Erreger. Wichtig dabei ist es, die Möglichkeiten des Modells genau zu definieren, also zu bewerten, welche Fragen damit zuverlässig beantwortet werden können und welche eben nicht. Diese Grenzen und individuellen Stärken der einzelnen Untersuchungsansätze zu kennen ist notwendig, um eine Strategie zur sinnvollen Nutzung aller verfügbaren Ansätze zu entwickeln, um am Ende dem Patienten durch Testung und Entwicklung sicherer Wirkstoffe zur Behandlung von Infektionen zu helfen. In vitro 3D Infektionsmodelle bieten hier spannende Möglichkeiten, beispielsweise um speziesbedingte Unterschiede zwischen Tieren und dem Menschen zu berücksichtigen und damit beizutragen, Wirkstoffe künftig schneller und sicherer zu testen.
InVitro+Jobs:
Bevor also Impfstoffkandidaten getestet werden, werden die Modelle zunächst mit den verschiedenen Erregern infiziert. Welche Immunantworten werden gemessen und gibt es dabei konkrete Erwartungen, damit das Infektionsmodell als aussagekräftig gilt?
Dr. Mosig:
Wir messen die Immunantwort auf unterschiedlichen Ebenen, von der Veränderung des zellulären Metabolismus und der Produktion von Proteinen im Gewebe bis hin zur Einwanderung und Differenzierung von Immunzellen und der Freisetzung von Chemokinen im Verlauf des Infektionsgeschehens. Wir korrelieren diese Beobachtungen mit Daten aus klinischen Untersuchungen. Die Situation beim Patienten ist der Gold-Standard und wir wollen diese Reaktionen so gut und zuverlässig wie möglich im Labor nachbilden.
InVitro+Jobs:
Wie erfolgt die (hypothetische) Immunantwort in dem Modell und was kann dabei noch nicht dargestellt werden im Vergleich zum Gesamtorganismus?
Dr. Mosig:
Die Nachbildung des gesamten Organismus in jedem Detail ist sehr schwierig und aktuell nicht in greifbarer Nähe. Wir können die Komplexität des menschlichen Immunsystems in voller Breite derzeit in vitro nicht nachbilden und fokussieren deshalb auf ausgewählte Zellen des Immunsystems und einzelne Organfunktionen. Die Stammzellforschung macht jedoch rasante Fortschritte und es bleibt abzuwarten, wie detailliert sich das menschliche Immunsystem künftig in vitro nachstellen lässt.
InVitro+Jobs:
Welche Vorteile hat das humane immunkompetente Infektionsmodell gegenüber Tierversuchen?
Dr. Mosig:
Der Vorteil des Tiermodells liegt sicher darin, systemische Wechselwirkung unter Berücksichtigung aller wesentlichen zellulären und humoralen Parameter berücksichtigen zu können. Das ist in voller Breite in vitro noch nicht möglich und bleibt eine Herausforderung für die kommenden Jahre und möglicherweise Jahrzehnte. Es gibt auch Limitationen von Tiermodellen in der biomedizinischen Forschung: Einige Erreger sind beispielsweise spezifisch für den Menschen und die Infektion lässt sich im Tiermodell nur artifiziell oder gar nicht nachbilden. Es gibt darüber hinaus Unterschiede zwischen Tier und Mensch beim Immunsystem und der Erkennung und Strategie zur Bekämpfung der Infektion. In vitro Modelle können wichtige Beiträge zum Verständnis von Infektionen und beteiligten Mechanismen leisten, indem sie Untersuchungen an menschlichem Gewebe unter kontrollierten Bedingungen zulassen. Durch die Nutzung von stammzellbasierten Modellen bergen sie darüber hinaus das Potential, patientenspezifische Eigenschaften mit Relevanz für den Infektionsverlauf zumindest teilweise in vitro abzubilden. Künftig könnten diese Modelle die Entwicklung individualisierter, auf den jeweiligen Patienten zugeschnittener Therapieansätze unterstützen.
InVitro+Jobs:
Inwieweit können die Infektionsmodelle bei erfolgreicher Entwicklung Tierversuche ersetzen oder reduzieren?
Dr. Mosig:
Eine Reduktion von Tierversuchen ist mit den aktuellen Modellen bereits möglich und viele mechanistische Fragestellungen lassen sich darin gut und zuverlässig untersuchen. Tierversuche sind jedoch nach wie vor notwendig, um auf höherer Komplexitätsebene Aussagen zur Wirkung von Therapien zu beantworten, bevor Studien am Menschen möglich sind. Die Herausforderung für die Zukunft ist es, aktuelle in vitro Modelle noch besser zu machen, d.h. ihre Aussagekraft zu erhöhen und die zelluläre Komplexität kontrolliert und reproduzierbar zu steigern. Stammzellen bieten hier ein enormes Potential und wir wollen mit unserer Arbeit dazu beitragen, Tierversuche in der Zukunft auch komplett ersetzen zu können. Wann es so weit ist, kommt aber auf die Erkrankung und den Therapieansatz an. Viele Arbeitsgruppen arbeiten hieran und es liegt noch viel gemeinsame Arbeit vor uns.
InVitro+Jobs:
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
1 https://www.imi.europa.eu/projects-results/project-factsheets/inno4vac
2 Synzytialviren: Das respiratorische Synzytialvirus (RSV) ist ein DNA-Virus, das zu den Pneumoviren gehört. Es führt zu Erkrankungen der tiefen Atemwege. Quelle: https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/p%C3%A4diatrie/verschiedene-virusinfektionen-bei-s%C3%A4uglingen-und-kindern/infektionen-mit-dem-respiratorischen-synzytialvirus-rsv-und-dem-humanen-metapneumovirus
3 isogenisch: Genetisch gleichartige Zelllinien. Quelle: http://www.laborundmore.com/archive/253559/bioconfident-grade%3A-ZytokineWachstumsfaktoren.html
Weitere Informationen:
https://www.rtl.de/cms/forschung-fuer-bekaempfung-von-covid-19-erhaelt-foerderungen-4826524.html
http://www.mosig-lab.com/Home/