Montag, 23 August 2021 11:12

Europäische Union: Trotz Verbots weiterhin Tierversuche für Kosmetikprodukte Empfehlung

Seit März 2013 ist die Produktion und Vermarktung von an Tieren getesteten kosmetischen Produkten und Inhaltsstoffen verboten. In einer Untersuchung einer EU-Chemikaliendatenbank haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun zahlreiche Stoffe gefunden, die nach Inkrafttreten des Verbots an Tieren getestet worden waren.


Hintergrund ist nach Angaben der Autoren die widersprüchliche Gesetzgebung der europäischen Kosmetikverordnung sowie der Chemikalienverordnung. Die Forscherinnen und Forscher fordern die Überarbeitung der sich widersprechenden Gesetze.

Chemische Stoffe, die ausschließlich für kosmetische Produkte hergestellt und vermarktet werden, unterliegen der europäischen Kosmetikverordnung 1223/2009 (1). Danach ist grundsätzlich das Inverkehrbringen von kosmetischen Fertigerzeugnissen untersagt, deren Bestandteile oder Kombinationen von Bestandteilen zur Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung durch Tierversuche bestimmt worden sind, wobei eine alternative Methode anzuwenden ist, nachdem eine solche alternative Methode unter gebührender Berücksichtigung der Entwicklung der Validierung innerhalb der OECD auf Gemeinschaftsebene validiert und angenommen wurde. Es gibt jedoch Ausnahmen, wenn z.B. die Chemikalie auch in anderen Produkten als Kosmetika zum Einsatz kommt.

Chemikalien im Allgemeinen unterliegen der REACH-Verordnung 1907/2006 (2). Die Chemikalienrichtlinie schreibt Tierversuche als letztes Mittel in Fällen vor, in denen neue Methoden zum Ersatz von Tierversuchen nicht anerkannt worden sind. Welche Tierversuche ggfs. durchzuführen sind richtet sich nach der jährlichen Produktionsmenge (Anhang VII bis X der REACH-Verordnung). Danach ist für alle registrierungspflichtigen Stoff eine Stoffsicherheitsbeurteilung abzugeben. Dieser enthält u.a. Angaben über die Ermittlung schädlicher Wirkungen auf die Gesundheit des Menschen und der Umwelt sowie eine Expositionsbeschreibung.

Nach Artikel 14 Absatz 5 b braucht der Stoffsicherheitsbericht Risiken für die menschliche Gesundheit nicht berücksichtigen, die sich aus Endverwendungen in kosmetischen Mitteln im Anwendungsbereich der Kosmetikverordnung (Richtlinie 76/768/EWG bis 2013, danach 1223/2009) ergeben.

Hinterausgang: Arbeitsschutz
Dennoch hat die europäische Chemikalienagentur ECHA immer wieder auch Tierversuche eingefordert, gegen deren Durchführung sich die Registranten mal erfolgreich, mal weniger erfolgreich zur Wehr gesetzt haben.

Erst 2020 hat die Widerspruchskammer zwei Entscheidungen der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) über geforderte Tierversuche für die Stoffe Homomenthylsalicylat (eine organische Verbindung, die in einigen Sonnencremes Verwendung findet) und 2-Ethylhexylsalicylat (ein Stoff, der als der als UV-Filter in Sonnenschutzmitteln Verwendung findet) angenommen, obwohl die Substanzen ausschließlich als Inhaltsstoffe in kosmetischen Mitteln verwendet werden. Die europäische Chemikalienagentur ECHA hatte den Hersteller von Sonnenschutzmittel, Symrise, aufgefordert, für zwei Stoffe, der als der als UV-Filter in Sonnenschutzmitteln Verwendung findet, Tierversuche durchzuführen. Begründet wurde dies mit Arbeitnehmerschutz.

In den angefochtenen Entscheidungen hatte die ECHA von einem Registranten verlangt, mehrere Studien an Wirbeltieren zu den Stoffen durchzuführen, um die Registrierungsanforderungen zu erfüllen. Der Registrant sollte eine 90-Tage-Studie zur subchronischen Toxizität, zwei pränatale Entwicklungstoxizitätsstudien und zwei erweiterte Ein-Generationen-Studien durchführen. In einem der beiden Fälle verlangte die ECHA vom Registranten zudem die Durchführung eines Tests zur sexuellen Entwicklung von Fischen (3). Die Beschwerdekammer befand, dass die REACH-Verordnung von den Registranten verlangen könne, Studien an Wirbeltieren durchzuführen, auch wenn die Substanz ausschließlich als Bestandteil in kosmetischen Mitteln verwendet werde. Die REACH-Verordnung enthalte keine automatische Ausnahme von den Informationsanforderungen für die Registrierung, wenn ein Stoff als Bestandteil in kosmetischen Mitteln verwendet werde.

In einer später veröffentlichten Erklärung zahlreicher Unternehmen und Tierrechtsorganisationen warfen die Beteiligten der ECHA vor, das Tierversuchsverbot der EU zu untergraben. In Wirklichkeit, so wurde vermutet, sollen diese Datenanforderungen sicherstellen, dass die ECHA über einen administrativ vollständigen Datensatz für die Gefahreneinstufung und Kennzeichnung verfügen könne, unabhängig davon, ob tatsächlich zusätzliche Daten zur Gewährleistung des Arbeitnehmerschutzes erforderlich sind (4).

Mittlerweile hat sich ein breites Bündnis aus Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen sowie über 450 tierversuchsfreie Kosmetikunternehmen an mehrere EU-Institutionen gewandt und gefordert, das wegweisende Verbot für Kosmetik-Tierversuche einzuhalten (5). Die letzten 15 bis 20 Jahre hat gerade die kosmetische, aber auch die chemische Industrie zig Millionen Euro in neue Methoden zum Ersatz von Tierversuchen investiert.

Weitere Informationen:
https://www.altex.org/index.php/altex/article/view/2291/version/2353
https://www.theguardian.com/environment/2021/aug/19/hundreds-of-uk-and-eu-cosmetics-products-contain-ingredients-tested-on-animals
(1) https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:342:0059:0209:de:PDF
(2) https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2007:136:0003:0280:de:PDF
(3) https://www.invitrojobs.com/index.php/de/neuigkeiten/news-archiv/item/4846-widerspruchskammer-registrant-muss-tierversuche-fuer-kosmetischen-inhaltsstoff-durchfuehren
(4) https://www.invitrojobs.com/index.php/de/neuigkeiten/news-archiv/item/4960-tierversuche-fuer-kosmetik-hersteller-erklaeren-tierversuche-abzulehnen
(5) https://www.invitrojobs.com/index.php/de/neuigkeiten/news-archiv/item/4994-offener-brief-an-die-eu-kosmetik-muss-tierversuchsfrei-bleiben