Mittwoch, 16 Oktober 2019 21:01

Neues vom EUSAAT-Kongress in Linz Empfehlung

Mit rund 270 Teilnehmern aus 28 Ländern ist der Kongress der European Society for Alternatives to Animal Testing (EUSAAT) der größte Kongress zum Thema 3R in Europa und findet traditionell immer in den Jahren zwischen den Weltkongressen im Österreichischen Linz an der Donau statt.


 
Innenstadt von Linz.
Foto: Pixabay

 

Mit 146 Vorträgen und 77 Postern informierten vor allem Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen über aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der 3R (replacement, reduction und refinement von Tierversuchen). Der Kongress eignet sich besonders für den Nachwuchs, um Erfahrungen zu sammeln. Daher wurde eine Kongressteilnahme mit 20 Travel Awards für Young Scientists aktiv unterstützt.





Bewährt: der Kongress an der Johannes Kepler-Universität in Linz:
Foto: Christiane Hohensee


In ihrer Eröffnungsrede betonte Dr. Dagmar Jírová vom National Institute of Public Health in Prag die Bedeutung des Kongresses durch den Zugang zu aktuellen Forschungsergebnisses vor allem für die osteuropäischen Länder.




Dr. Dagmar Jírová in ihrer Eröffnungsrede.
Foto: Christiane Hohensee


Im Folgenden können nur exemplarisch einige Forschungsergebnisse und Entwicklungen vorgestellt werden. Für einen umfassenden Überblick wird auf den ALTEX-Abstraktband verwiesen.

Induzierte pluripotente Stammzellen: der Stoff, aus dem die Tests sind

Prof. Dr. Dr. hc. Jürgen Hescheler gab einen Überblick über Stammzellen: Während die Forschung mit embryonalen Stammzellen ein ethisches Dilemma darstellt und stark reglementiert ist, haben internationale Wissenschaftler sich schon längst den induzierten pluripotenten Stammzellen zugewandt. Sie sind heute bereits nicht-invasiv aus Haut- oder Urinproben zu gewinnen. Probleme mit Zellen von Tieren und dadurch bedingte Artunterschiede fallen weg. Es lassen sich die verschiedensten Krankheitsmodelle erzeugen, die auf der genetischen Ausstattung der Spenderzellen basieren. Sie lassen sich zudem leicht in automatisierten Systemen (Hochdurchsatz) zu Testzwecken nutzen. Die European Bank for induced pluripotent Stem Cells (EBiSC) ist ein Qualitätsprojekt und die weltweit größte Sammlung an induzierten pluripotenten Stammzellen. Für Forscher sind die Zellen frei erhältlich.

Starke Forschung an Neurofragestellungen

Ein Forschungsergebnis mit iPSC hat ein niederländisches Wissenschaftlerteam aus Leiden vorgestellt: Die Wissenschaftler haben ein 3D Modell des Zentralnervensystems zum Hochdurchsatz-Screenen von Stoffen auf Neurotoxizität entwickelt. Dabei wurden humane Nerven- und Gliazellen aus iPSC entwickelt und in eine extrazelluläre Matrix eingebettet. Aus 96 Einzelchips konnten sich die Neuronen und Gliazellen dann untereinander vernetzen. Das Modell kann verwendet werden, um Stoffe wir Arzneimittel, endokrin-wirksame Substanzen oder Pestizide, also auch viele ernährungsbezogene Substanzen wie Konservierungsstoffe, auf ihre Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Zellen zu testen. Die Wissenschaftler konnten mit ihrem Modell zudem zeigen, dass bestimmte Chemikalien in Kombination mit anderen Substanzen einen synergistischen, störenden Einfluss auf die Entwicklung von Nervenzellen und die Synapsenbildung haben können.

Ein italienisches Forscherteam aus Genua hat Multielektrodenarrays in Kombination mit immun-histochemischen Untersuchungen genutzt, um die Synapsenbildung, die Freisetzung von Neurotransmittern und deren entsprechende Rezeptoren auf den Nervenzellen zu identifizieren, einzuschätzen und zu bewerten. Dafür haben sie eine Apparatur entwickelt, mit der sie Neurotransmitter im Perfusat sammeln konnten. Mit ihrem in vitro-Modell waren sie in der Lage, Substanzen auf ihren Einfluss auf die Netzwerkaktivität und die Freisetzung von z.B. Glutamat hin zu untersuchen. Allerdings wurden die Tests bislang nur mit Nervenzellgewebe von Nagern durchgeführt. Als nächster Schritt wollen sie das Modell mit humanen induzierten pluripotenten Stammzellen etablieren.

Mit mikro- und millifluidischen in-vitro-Modelle lassen sich die Blut-Hirn-Schranke (BBB) unter Scherstress gut untersuchen, was zu einem in-vivo ähnlichen Phänotyp führt. Dies haben Wissenschaftler vom Institute of Technology, Wien in Kooperation mit der TU Wien herausgefunden. Für ihre Forschung haben sie drei Modelle für eine BBB-Modellierung getestet und Unterschiede in der Anwendbarkeit gefunden. Zur Modellierung verwendeten sie eine immortalisierte menschliche Hirn-Kapillar-Endothelzelllinie hCMEC/D3 sowie Hirn-Kapillar-Endothelzellen (hiPSBCEC) aus humanen induzierten pluripotenten Stammzellen.

Der Nachwuchswissenschaftler Marco Campisi vom Department of Mechanical & Aerospace Engineering, Politecnico di Torino in Turin konnte zeigen, dass Nanopartikel wie Polysterene und Polyurethan durch rezeptorvermittelte Endozytose die Blut-Hirn-Schranke durchwandern können. Nach einer Weile wandern diese Partikel in den Extrazellularraum. Für seine Untersuchung hat er ein Blut-Hirnschranken-Modell, bestehend aus einem mikrofluidischen Mikrogefäßmodell aus von iPSC abgeleiteten Endothelzellen, Hirnperizyten und Astrozyten, eingebettet in eine 3D Fibrin-Gelmatrix, entwickelt.

Nicht-invasive Gewinnung wichtiger Nierenvorläuferzellen

Prof. Dr. James Adjaye von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, hat ein Verfahren entwickelt, um wertvolle Nierenvorläuferzellen aus Urinproben zu gewinnen. Und die sind selten: lediglich drei dieser Zellen sind in einer Probe zu finden, ein spezifiziertes Gewinnungsverfahren daher unerlässlich. Nierenvorläuferzellen haben enormes Entwicklungspotenzial. Sie lassen sich in alle möglichen Zellen der komplex aufgebauten Niere weiterentwickeln (Podozyten, Endothelzellen der Niere, Zellen des distalen und proximalen Tubulus, Henlensche Schleife, Verbindungssegmente) aber auch allgemein in Zellen des Mesoderms, aus denen wiederum Adipozyten, Osteoblasten oder Chondrozyten hergestellt werden können. Die Zellen sind genetisch den in vivo über Biopsien erhältlichen Zellen äußerst ähnlich. Die über das neue, nicht-invasive, Verfahren gewonnenen Nierenvorläuferzellen sind, wenn sie vom Probanden gewonnen werden, human- bzw. patientenspezifisch. Sie lassen sich unbegrenzt vermehren – eine sehr gute Quelle für die Nierenforschung. Prof. Adjaye hat für diese Art der Gewinnung und Forschung unter dem Namen Uricell ein Start-up gegründet.

Innovationen in der Organ-on-a-Chip-Technologie

Die Verwendung von menschlichen Zellen und extrazellulärem Matrixmaterial reproduziert organtypische funktionelle Einheiten des menschlichen Organismus, was der Hauptvorteil von Organ-on-a-Chips im Gegensatz zu Tierversuchen ist. Die Integration solcher Organoide in fluidische Zellkulturkammern ermöglicht die Nachahmung der fluidischen in-vivo-Organ-Organ-Verbindungen und bietet einen Ansatz für Hochdurchsatz-Screenings.

Im Italienischen Start-Up Unternehmen React4Life wurden 3D-Ovarialtumormodelle in einem fluidischen Multi-In-vitro-Organ-(MIVO®)-Gerät kultiviert, das den kapillaren Blutstrom in der Krebsumgebung simuliert und den Tumor speist. Die MIVO Plattform ermöglicht zuverlässige Arzneimittelwirksamkeitstests alternativ zu präklinischen Tiermodellen sowie Analysen der Tumorzellinvasion und Metastasierung.  

Einen ähnlichen Ansatz stellen die multimodalen mikrofluidischen Plattformen, sogenannte vasQchips, dar, welche am Karlsruher Institut für Technologie in der Arbeitsgruppe von Prof. Ute Schepers zum Zweck einer automatisierten und effizienten Handhabung realisiert wurden. Zentrum dieser Chips ist ein gekrümmter, poröser Mikrokanal, der mit Endothel ausgekleidet ist und mit dem mikrofluidischen Fluss verbunden ist. Die Poren ermöglichen die Versorgung mit Nährstoffen und Gasen sowie den Austausch von Wachstumsfaktoren oder Immunzellen mit dem umgebenden Kompartiment. In diesem Chip werden verschiedene Organmodelle etabliert und validiert, darunter Leber, Blut-Hirn-Schranke, Haut- oder Tumorumgebung, die für verschiedene Anwendungen verwendet werden können. Die vasQchips ermöglichen einen automatisierten Austausch des kontrollierten Kulturmediums sowie die Integration von Sensoren (z. B. O2, pH). Mit den Abmessungen einer Multi-Well-Platte kann die Plattform problemlos mit Standardgeräten wie Mikroskopen oder Fluoreszenzplattenlesern kombiniert werden.

Verbessertes Leberzellenmodell für Wirksamkeits- und Giftigkeitstests

Die Zytotoxizität während der Arzneimittel-Metabolisierung in der Leber ist ein kritisches Risiko. Die Beurteilung vor Beginn von Versuchen am Menschen stützt sich in hohem Maße auf in-vitro-Leberzellkulturen als Modell für den in-vivo-Metabolismus und Tierversuche. Sie stellen jedoch die in-vivo-Situation häufig nicht genau dar, so dass weitere Tierversuche erforderlich sind. Um die Relevanz dieser Leberzellmodelle zu verbessern, realisierte Prof. Sakai Yasuyuki von der Universität Tokyo zonale Sauerstoffbedingungen. Damit ist ein genaueres Modell für präklinische Versuche verfügbar, das die in vivo Situation genauer nachahmt und die Reduzierung der Tierversuche ermöglichen sollte.

Neue Modelle für Immunsystembestandteile

Die Nachteile von Tiermodellen, insbesondere für das menschliche Immunsystem, haben in der pharmazeutischen Industrie erhebliche Zweifel an der Vorhersagbarkeit für die Beurteilung der Immunmodulation und Immunogenität aufkommen lassen. Neue „humanoide“ Modelle sind für sichere pharmazeutische Behandlungen erforderlich. Dr. Christoph Giese von der ProBioGen AG, Berlin, einem Hersteller von Biopharmazeutika, stellte das Human Artificial Lymph Node Model (HuALN) vor. Es ist ein mikrophysiologisches System, das die Immunität in einem kontinuierlich perfundierten 3D-Kultursystem nachahmt und zur Langzeitbehandlung (z. B. 28 Tage) und wiederholten Dosierung geeignet ist. Es dient zur Induktion oder Modulation von zellulären und humoralen Immunantworten und zum Testen der Immunmodulation, um unerwünschte Immunogenitätsreaktionen oder die Wirksamkeit von Impfstoffen, Adjuvantien und Formulierung zu bewerten.

Der Arbeitsgruppe um Dr. Han-Jin Parki vom Korea Institute of Toxicology, Südkorea gelang es, effiziente funktionelle und Leber-residente Makrophagen aus humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPSCs) zu erzeugen. Diese können für pathophysiologische und toxikologische Studien verwendet werden. Makrophagen spielen eine wichtige Rolle bei Immunantworten und sind an verschiedenen pathologischen Zuständen beteiligt. Dabei ist die Entwicklung von gewebsresidenten Makrophagen aus hiPSCs von besonderem Interesse.

Aussichtsreiches Projekt für die Alzheimer-Grundlagenforschung

Prof. Nilima Prakash von der Universität Hamm-Lippstadt präsentierte ihr neues Forschungsvorhaben mit dem Potenzial, zukünftig auf Mausmodelle zu verzichten. Es wird angenommen, dass Alzheimer seine Ursachen in der neurologischen Entwicklung hat, was genaue Kenntnisse der Differenzierung dopaminerger Neuronen während der Entwicklung erfordert. Differenzierte Zellen können anschließend zur Analyse patientenspezifischer Krankheitsphänotypen und für die Krankheitsmodellierung verwendet werden, um Arzneimittel zu testen. Das Projekt versucht die embryonale Genese der Neuronen und ihr Überleben bei Erwachsenen zu verstehen. Es verwendet genetische Mausmodelle, Hühnermodelle sowie hiPSCs von Patienten. Vor dem Hintergrund der bekannten Speziesunterschiede in der Genexpression von Neuronen-Markern sowie deren Funktion im Kontext der Entwicklung wird kritisch bewertet, welches Modell für ein besseres Verständnis der Neuronen-Entwicklung im Zusammenhang mit menschlichen Erkrankungen geeignet ist.

Fortschritte auf dem Weg zur tierfreien Impfstofftestung

Ein wichtiger Bereich, in dem Tierversuche vorgeschrieben sind, ist die Testung von Impfstoffen, um sicherzustellen, dass jede hergestellte Impfstoffcharge mit einer Charge übereinstimmt, die sich bereits als sicher und wirksam erwiesen hat. Dies erfolgt meist in letalen Challenge-Assays in Mäusen. VAC2VAC, ein Verbundforschungsprojekt, das auf die Entwicklung und Validierung von tierfreien Prüfungsansätzen abzielt, konnte bereits Massenspektrometrie-Assays beziehungsweise B-Zellassays und Proteinanalysen für Leptospiren-, DTaP (Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten)- und Veterinär-Tetanustoxoid-Impfstoffe entwickeln. Fortschritte wurden unter anderem bei den Immunoassays für Veterinär-Tollwut- sowie durch Zecken übertragene Enzephalitis (TBEV)-Impfstoffe gemacht. Um den Kaninchenpyrogentest für den TBEV-Impfstoff zu ersetzen, wurde der Monozytenaktivierungstest (MAT) anpasst und validiert. Nach der Vorabvalidierung ausgewählter Methoden mittels multizentrischer Studien strebt VAC2VAC die regulatorische Akzeptanz an.

Dr. Dieter Pullirsch von der AGES, der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit Österreich, berichtete über den Beschluss des Österreichischen Amtlichen Kontrolllabors für Arzneimittel, an alternativen Wirksamkeitstests von FSME-Impfstoffen zu arbeiten. Er präsentierte erste Ergebnisse der Immunoassays auf Basis von spezifischen monoklonalen Antikörpern und schlug einen Weg vor, die Tests in das europäische Arzneibuch einzuführen.

Immunkompetente Hautkrankheitsmodelle

Auch Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen arbeiten an interessanten Modellen, so wird z.B. an der Universität Würzburg in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut für Silikatforschung ein auf menschlichen Zellen basierendes, immunkompetentes Hautmodell entwickelt. Damit sollen Therapiemöglichkeiten gegen eine durch Stammzelltransplantation auftretende Graft-versus-Host-Erkrankung untersucht werden. Die Graft-versus-Host-disease ist eine zelltoxische Reaktion von implantierten Immunzellen nach Transfusionen oder Knochenmarkstransplantationen gegen den Wirtsorganismus. Dabei kann es bei immungeschwächten Patienten können schwere Organschäden, aber auch Hautveränderungen auftreten. Diese Hautveränderungen sollen mit dem Modell untersucht und behandelbar werden.

Modell der rheumatoiden Arthritis

Zur Untersuchung von Entstehungsmechanismen der rheumatoiden Arthritis arbeiten Nachwuchswissenschaftler und –wissenschaftlerinnen der Charité Universitätsmedizin Berlin an der Entwicklung eines in vitro-Modells. Dafür wurde zunächst ein aus mesenchymalen Stammzellen abgeleitetes gesundes Gelenk aus Knochen- und Knorpelmaterial mit Synuvialflüssigkeit aus Hyaloronsäure mit umgebender Polykarbonatmembran entwickelt. Um nun ein Entzündungsmodell herzustellen, migrieren Immunzellen – in diesem Fall zunächst neutrophile Granulozyten - durch die Membran. Die jungen Forscher maßen nun eine Zunahme an Entzündungsmarkern im „Gelenk“ sowie Marker für Gewebedegradierungsprozesse. Im nächsten Schritt wollen die Forscher weitere Immunzelltypen integrieren und später Antirheumatika testen. Eine andere Entwicklung verfolgt das Ziel, ein Osteoporose-Modell zu entwickeln.

Validierung eines Tests auf Hormonwirksamkeit

Eine weitere, interessante Kongressinformation war der Anerkennungsprozess für den AR-Calux assay: ein Androgenrezeptor-Test kann zukünftig genutzt werden, um hormonwirksame Substanzen in vitro aufzuspüren. Hormonwirksame Substanzen können natürlicherweise in der Umwelt vorkommen oder vom Menschen aus Chemikalien freigesetzt werden. Sie können dadurch zu Fortpflanzungsbeeinträchtigungen, Entwicklungsstörungen oder zur Tumorentstehung führen. Die Substanzen sind in der Lage, an Rezeptoren für Östrogene, Androgene oder Schilddrüsenhormone zu binden. Zur Untersuchung der endokrinen Wirksamkeit wurden bereits mehrere Androgen Receptor Transactivation Assays entwickelt, von denen sich vor allem der AR-CALUX als zuverlässig und reproduzierbar erwiesen hat. Bei diesem in vitro-Test wird die Knochenkrebszelle U2OS verwendet, in die gelabelte Androgenrezeptoren eingebaut worden sind. Der Test wurde inzwischen durch die europäische Validierungsbehörde EURL ECVAM und drei unabhängige Labore validiert und für die Aufnahme in eine Testrichtlinie empfohlen worden ist. Eine entsprechende Guideline (Nr. 458) ist inzwischen in Vorbereitung und wird bis Ende 2020 verfügbar sein.

Neues von der Umsetzung der EU-Tierversuchsrichtlinie 63/2010/EU

Dr. Susanna Louhimies von der Europäischen Kommission berichtete über den gegenwrätigen Stand der Entwicklungen bei der Umsetzung der Direktive 63/2010/EU. Die Richtlinie hat drei Ziele: die Verbesserung der gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Akteure, um die Wettbewerbsfähigkeit und Innovation der EU-Forschung zu verbessern; die Gewährleistung hoher Tierschutzstandards und Umsetzung der 3Rs sowie die Verbesserung der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit über die Verwendung lebender Tiere für wissenschaftliche Zwecke. Das letztliche Ziel eines Ersatzes lebender Tiere wie im Recital 10 der EU-Tierversuchsrichtlinie beschrieben, so Dr. Louhimies, sei eine "sollte"-Bestimmung, und keine "Muss"-Bestimmung. Neu herausgegeben hat die Europäische Kommission zwei Poster: eines zum Thema genetisch veränderte Tiere und eine zur Belastungseinschätzung von Tierversuchen. Es seien Tipps zur Unterstützung der Animal Welfare Bodys der Tierversuchseinrichtungen. Gerade die Belastungsgradeinschätzung sei ein schwieriger Prozess. Der Startschuss für die Veröffentlichung der gesamteuropäischen nicht-technischen Projektzusammenfassungen fällt im Januar 2021. Es wird hier eine EU-Datenbank geben. Noch im November dieses Jahres erscheint der Statistikreport mit den europäischen Versuchstierzahlen. Der erste EU-Bericht über die Umsetzung der Richtlinie wird ebenfalls noch im November dieses Jahres veröffentlicht. Das Europäische Parlament hat zusätzliche Mittel für ein Pilotprojekt bereitgestellt. Damit soll die Einführung von bereits bestehenden Alternativen gefördert, die Entwicklung und Validierung neuer Alternativen erleichtert sowie ein Informations- und Wissensaustauschs gefördert und Instrumente für Ausbildung und Training bereitgestellt werden, um die Anwendung der 3Rs zu erleichtern. Das Pilotprojekt sieht die Durchführung von sechs interaktiven eLearning-Schulungsmodulen vor, EURL ECVAM soll eine gemeinsame Forschungsstelle koordinieren, damit die 3R-Ressourcen für Gymnasien, Universitäten und Nachwuchswissenschaftler entwickelt werden. Zudem soll die European Education and Training Platform for Laboratory Animal Science (ETPLAS) finanziert werden, um Leitlinien für Bewertungskriterien, tatsächliche Bewertungskriterien und Werkzeuge zur Kompetenzbewertung zu entwickeln.

Tierversuche in der Ausbildung verfeinern, reduzieren und ersetzen

In Kursen der Versuchstierkunde wird an lebenden Mäusen trainiert, die aufgrund der Unerfahrenheit der Teilnehmer oft erhöhtem Stress und Leiden ausgesetzt sind. Zum Refinement als Teil des 3R-Prinzips wurden Simulatoren für Ratten und Mäuse entwickelt, die als erste Übungsvorrichtung für verschiedene Techniken dienen sollen, bevor sie an lebenden Tieren durchgeführt werden. Allerdings gewährleisten die aktuellen Geräte nicht einen angemessenen Erwerb praktischer Fertigkeiten, so dass die meisten Kurse sie nicht nutzen.

Das Forschungsprojekt „SimulRATor“ der FU Berlin evaluiert derzeit alle sechs erhältlichen Ratten- und Maussimulatoren, um die technischen und strukturellen Spezifikationen zu definieren, die für die Entwicklung eines neuen, anatomisch und haptisch realistischen und kostengünstigen 3D-gedruckten Ratten-Simulators erforderlich sind. Parallel dazu werden das Grundgerüst und die Struktur des Simulators virtuell entworfen und Testdrucke erstellt, wobei sowohl harte als auch weiche Materialien verarbeitet werden.

Nick Jukes, Koordinator von InterNiche (International Network for Humane Education) präsentierte neue tierfreie Innovationen für die Ausbildung von TiermedizinerInnen, darunter ein Hundemodell für das Chirurgietraining von der Biotech-Firma SynDaver. Es bietet eine hohe Genauigkeit für wiederholbare chirurgische Eingriffe und anpassbare Pathologien, die in das gesamte Gefäßsystem integriert sind. Das Clinical Skills Learning Center in Illinois, USA, verfügt über Modelle und Simulatoren, um ein breites Spektrum an klinischen Fertigkeiten zu vermitteln und den Tierverbrauch zu reduzieren. Die Ausstattung gehört zu den umfassendsten der Welt. Die Universität Virginia Tech in Blacksburg, USA entwickelte ein open-source Virtual-Reality-Programm für die Hundeanatomie. Des Weiteren bietet die Colorado Universität virtuelle Tieranatomie-Programme an.

Forcierte Anwendung des 3R-Prinzips

Kathrin Herrmann vom Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT) der Johns Hopkins Universität in Baltimore, USA berichtete über die Vermittlung von tierfreien Ansätzen in der biomedizinischen Grundlagenforschung und angewandten Forschung. Leider enthalte die Richtlinie 2010/63/EU mit dem Ziel, alle Verfahren an lebenden Tieren zu ersetzen, keinen Aktionsplan zur Erreichung dieses wichtigen Ziels. Die wissenschaftlichen und ethischen Mängel der Tiermodelle würden zukünftigen Wissenschaftlern noch nicht gelehrt, und es gibt Hinweise darauf, dass sie nicht geschätzt oder einfach ignoriert werden. Daher wurde am CAAT ein umfassender Kurs entwickelt. In acht Modulen werden die Hauptmängel der Tiermodelle behandelt, die vollständige Anwendung der 3R-Prinzipien, die ordnungsgemäße Durchführung von Literaturrecherchen sowie die Planung, Durchführung, Analyse und Berichterstattung von Forschungsstudien. Ferner lehrt der Kurs, wie die Gültigkeit von Tier- und Nicht-Tier-Modellen kritisch beurteilt werden kann, um die besten Mittel für bestimmte Forschungsinteressen auszuwählen. Der Kurs ist ab nächstem Jahr online verfügbar.
Außerdem sprach Kathrin Herrmann in Ihrem Vortrag „Refinement auf dem Weg zum Replacement: Tun wir, was wir können?“ darüber, dass viele Wissenschaftler, die Tiere verwenden, die Verfeinerung für dringlicher und erreichbarer halten als die Reduzierung und den Ersatz. Die Ergebnisse Ihrer Publikation zeigen, dass noch viel mehr getan werden kann und muss, um den 3R-Rahmen, in dem der Ersatz von Tieren ein klarer Schwerpunkt ist, wirklich anzuwenden. Es werden Handlungsempfehlungen gegeben, die den Einsatz tierfreier, human-relevanter Ansätze beschleunigen.

Ehrung für Forscher FKS-freier Medien

Am Rande der Preisverleihung erhielt Dr. Jan van der Valk, Leiter des 3Rs-Centers Utrecht Life Sciences an der medizinischen Fakultät der Universität Utrecht den diesjährigen
Björn Ekwall Memorial Award als Anerkennung für sein beständiges und engagiertes Wirken bei der Aufklärung der Wissenschaftsgemeinde über die Bedenken beim Einsatz von fötalem Kälberserum in Zellkulturen, einerseits vom ethischen Standpunkt aus und aus Gründen der mangelnden Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. In diesem Zusammenhang wurde er auch für seine Anstrengungen bei der Etablierung einer Datenbank über fks-freie Medien geehrt. Der Preis mit ist 30,000 SEK dotiert.

 

[1] Herrmann, K. (2019). Human-Animal Studies. Vol. 22, 3-64. Leiden: Brill. doi:10.1163/9789004391192