Freitag, 19 Juli 2019 13:11

Hannover: Heuschreckenembryonen als entwicklungstoxikologisches Testsystem Empfehlung

Wissenschaftler der Tierärztlichen Hochschule Hannover haben ein System zum Test auf Entwicklungstoxizität entwickelt, das Nagetiere in den Studien ersetzen soll. Als Ersatz nutzen sie Heuschreckenembryonen.


Mit dem neuen System können wie Chemikalien wie z.B. Pestide darauf hin untersuchen, ob die Nervenzellen korrekt verschaltet werden oder dieser Prozess gestört worden ist. Dafür wird der Heuschreckenembryo mit der Testchemikalie kultivert und mit fluoreszenzmikroskopischen Methoden untersucht, ob die Pionierneuronen im Gewebe entstehen, auswachsen und ggfs. Wegfindungsfehler machen.

Das von Wissenschaftlern vom Institut für Physiologie und Zellbiologie der tierärztlichen Hochschule Hannover unter der Leitung von Prof. Gerd Bicker entwickelte Testsystem mit Heuschrecken hat die Untersuchung von Leitsignalen wie Semaphorinen im Fokus, eine Klasse von Membran-assoziierten Proteinen, die steuern, wohin Nervenzellfortsätze in einer sich entwickelnden Hirnstruktur wachsen. Semaphorine sind stammesgeschichtlich hoch konserviert, sodass das der zu untersuchende Mechanismus auch in Insekten untersucht werden kann und Forscher nicht auf Nagetiere als Testspezies zurückgreifen müssen.

In der europäische Tierversuchsrichtlinie sind neben Wirbeltieren lediglich Kopffüßer erwähnt. Gemäß Erwägungsgrund Nr. 13 der Richtlinie EU/63/2010 müssen "...die Arten ausgewählt werden, die die geringste Fähigkeit zum Empfinden von Schmerzen, Leiden oder Ängsten haben...". Das Tierschutzgesetz erwähnt als Wirbellose lediglich Kopffüßer und Zehnfußkrebse. Es sagt jedoch in § 8a Absatz 4, dass Versuche an anderen wirbellosen Tieren als eben Kopffüßern und Zehnfußkrebsen (bei denen die Leidensfähigkeit schon nachgewiesen ist) der zuständigen Behörde anzuzeigen wären, wenn diese Tiere über eine den Wirbeltieren entsprechende artspezifische Fähigkeit verfügen, unter den Versuchseinwirkungen zu leiden, und es zu ihrem Schutz erforderlich ist.  In einer aktuellen Studie wurde beobachtet, dass Insekten wie der Mensch zu chronischen Schmerzempfindungen fähig sind (1). Es gibt ältere Arbeiten aus den 90er Jahren (2,3), die auf etwas Ähnliches wie Schmerzempfinden bei Heuschrecken hinweisen. Opioidpeptide und Opiatrezeptoren sollen vorhanden sein. Insekten besitzen ein Strickleiternervensystem, an deren Ende sich das sogenannte Oberschlundganglion befindet, das paarig angeordnet ist und dem Gehirn der Wirbeltiere analog sein könnte.

Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass das Testsystem hoch empfindlich gegenüber Pestiziden, Kalziumkanalblockern und solchen Substanzen ist, die den Aufbau des Zellskeletts beeinflussen.

Die Wissenschaftler arbeiten nun daran, den Test zu standardisieren.

Die Forscher haben das Testsystem in ALTEX vorgestellt:
Gregor A. Bergmann, Sarah Frömbling, Nina Joseph, Karsten Bode, Gerd Bicker, Michael Stern (2019). An Intact Insect Embryo for Developmental Neurotoxicity Testing of Directed Axonal Elongation. ALTEX, DOI:10.14573/altex.1901291

Quelle:
https://idw-online.de/de/news718940
 
Über das Schmerzempfinden von Insekten:
(1) https://www.scinexx.de/news/biowissen/auch-insekten-fuehlen-chronische-schmerzen/
(2) V. E. Dyakonova, D. Schurmann, D. A. Sakharova: Effects of serotonergic and opioidergic drugs on escape behaviors and social status of male crickets. In: Naturwissenschaften. Band 86, 1999, S. 435–437.
(3) N. Zabala, M. Gomez: Morphine analgesia, tolerance and addiction in the cricket, Pteronemobius. In: Pharmacology, Biochemistry and Behaviour. Band 40, 1991, S. 887–891.