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Freitag, 31 Mai 2019 14:52

In vitro-Toxizitätstests in der Praxis: noch viel zu tun Empfehlung

Nach Analyse aktueller Forschungsergebnisse durch Wissenschaftler*innen des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) und der Universität zu Köln ist der allgemeine Ersatz von Tierversuchen mit den derzeitigen in vitro-Testsystemen noch nicht möglich. Die Autor*innen sehen weiteren Forschungsbedarf und schlagen ein systematisches Vorgehen nach einer Differenzierungs-Roadmap vor.


Trotz Fortschritte in der Zellbiologie werden aus Stammzellen gewonnene reife menschliche Zellen in der pharmakologischen und toxikologischen Routine selten eingesetzt. Woran das liegt, haben die Wissenschaftler*innen aus Dortmund und Köln in einem Aufsatz in Trends in Molecular Medicine dargelegt.

So seien z.B. die Unterschiede zwischen erzeugten Hepatozyten und tatsächlichen Leberzellen derzeit noch so groß, dass primäre menschliche Hepatozyten (PHHs), die aus einer Leberresektion gewonnen wurden, den Goldstandard für Forschung und Toxizitätstests darstellen. Sie können jedoch in den benötigten Mengen nicht erworben werden.

Die Entwicklung von Organzellen aus induzierten pluripotenten Stammzellen stößt jedoch an Schwierigkeiten, da es während des Differenzierungsprozesses der Zellen zu unerwünschten und unvollständigen Differenzierungen der Zellen käme. Unerwünscht differenzierte Zellen zeigten dabei Eigenschaften von Nicht-Zielzellen (z.B. anstelle Leberzellen solche von Darmzellen), während unvollständig differenzierte Zellen nur zum Teil den Primärzellen ähnelten. Ein Teil der Zellen zeige Stammzelleigenschaften. Der gewünschte Differenzierungsgrad liege nicht selten deutlich unter dem gewünschten Wert. Differenzierungsprotokolle für die Stammzellen müssten deshalb entsprechend optimiert werden, Forschungsprogramme zur Verbesserung der Differenzierungsprotokolle laufen bereits.

Ein anderer Kritikpunkt ist der Unterscheidungsfähigkeit der Tests zwischen toxisch und nicht-toxisch: Derzeit erlauben In vitro-Systeme, unnötige Tierversuche lediglich in den Fällen zu vermeiden, in denen eine theoretische therapeutische Dosis im humanen in vitro-Systemen bereits zytotoxisch ist. Nach Vorschlag der Autor*innen sollte die Leistung eines Testsystems jedoch anhand von Leistungskennzahlen beurteilt werden, die angeben, wie gut ein Test zwischen toxischen und ungiftigen Verbindungen unterscheiden kann.

Und noch weitere Informationen fehlen: Viele Verbindungen verursachen Organtoxizität durch so genannte primäre Zytotoxizität von z.B. Hepatozyten oder in Epithelzellen des proximalen Tubulus der Niere. Was nicht ausreichend erforscht ist, sind sogenannte sekundäre Mechanismen, die von Verbindungen ausgelöst werden, zum eine Cholangiozyten-Toxizität in der Leber. Hier sei weitere Forschung erforderlich.

Im Bereich der Reproduktionstoxizität sei die Entwicklung brauchbarer in vitro-Tests weitaus komplizierter: Aus praktischen Gründen  sei es unmöglich, alle Facetten der menschliche embryonalen und fetalen Entwicklung durch individuelle Assays abzudecken. Möglicherweise reiche jedoch eine kleine Testbatterie auf Basis von Signalwegen und molekularen Mechanismen, die den individuellen Entwicklungsprozess steuern, aus. Die Forschung zur Klärung dieser Grundfrage habe jedoch gerade erst begonnen.

Die Wissenschaftler*innen haben ihre Analyse im Journal Trends in Molecular Medicine beschrieben.
Agapios Sachinidis, Wiebke Albrecht, Patrick Nell, Anna Cherianidou, Nicola J. Hewitt, Karolina Edlund & Jan G. Hengstler (2019). Road Map for Development of Stem Cell-Based Alternative Test Methods. TRMOME 1439, https://doi.org/10.1016/j.molmed.2019.04.003.

Weitere Informationen:
https://www.ifado.de/blog/2019/05/31/alternativen-tierversuchen-testsysteme-stammzellen/
https://www.cell.com/trends/molecular-medicine/fulltext/S1471-4914(19)30074-7