Montag, 10 September 2012 11:21

Vom EUSAAT-/Linz-Kongress für Alternativen zum Tierexperiment Empfehlung

Der Linzer Kongress für Alternativen zu Tierexperimenten wird traditionell einmal im Jahr an der Johannes-Kepler-Universität in Linz nun schon zum 17. Mal veranstaltet. Ausgerichtet wird der Kongress von der EUSAAT (European Society for Alternatives to Animal Testing), für die es gleichzeitig die 14. Kongressveranstaltung war. Auch hatte die European Teratology Society (ETS) am ersten Abend hier ein Meeting.


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Der Kongress findet traditionsgemäß an der Johannes-Kepler-Universität in Linz statt.

Die Tagung ist von großer Bedeutung, denn der Weltkongress zu Alternativen und Tiereinsatz in den Lebenswissenschaften findet nur alle drei Jahre statt – 2014 erst wieder in Prag - und es ist daher eine Möglichkeit, sich fachlich-kritisch und direkt zu Ergebnissen auszutauschen, zu informieren und vor allem auch den Nachwuchswissenschaftlern die Chance zu bieten, ihre Ergebnisse einem breiteren Fachpublikum vorzustellen. Ein aktuell wichtiger Schwerpunkt ist die Vorstellung neuer Methoden im Bereich der Kosmetik, denn  die Europäische Kommission denkt über Ausnahmen für das endgültige Verkaufsverbot für an Tieren getestete Kosmetik in Europa nach.

 

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Prof. Horst Spielmann während des EUSAAT-ETS Joint Meetings berichtet über die Entwicklung des Embryonic Stem Cell Test (EST) Assay.
Foto: Christiane Hohensee.


Neben renommierten Wissenschaftlern aus 15 verschiedenen Ländern waren auch einschlägige Unternehmen, die sich besonders durch innovative Investitionen in Tierversuchsersatzmethoden auszeichnen, selbst forschende und vor allem evaluierende Behördenvertreter, die Europäische Kommission sowie mehrere nationale und international tätige Tierschutzorganisationen sowie europäische Tierschutzorganisationszusammenschlüsse vertreten. Erfreulich ist auch, dass sich immer mehr osteuropäische Länder durch einen hohen wissenschaftlichen Output auszeichnen. Auch InVitroJobs stellte ein Poster auf dem Kongress aus und informierte über die gegenwärtigen Entwicklungen der beiden Projekte InVitroJobs und SATIS.


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Christiane Hohensee von Invitrojobs erklärt die Entwicklung der Projekte. Links: Managing Director Horst Fuchs von Cellsystems.

Foto: Norbert Alzmann.


Es können hier nur beispielhaft einige interessante Details dargestellt werden. Schon das EUSAAT-ETS Joint Meeting zum Thema „Innovations and applications of the embryonic stem cell test (EST)“ bot sehr interessante neue Erkenntnisse bei der Forschung teratogenen Substanzen, beispielsweise auf dem Gebiet der Klärung des Mechanismus der Missbildungen der Gliedmaßen durch den Contergan-Wirkstoff Thalidomid. Heute nach 50 Jahren dieses furchtbaren Ereignisses ist die Wissenschaft mit der Nutzung embryonaler Stammzellen in der Lage, einen biochemischen Mechanismus darzustellen, der bei der Störung der Gliedmaßenentwicklung eine Rolle spielt. Der Forscher Prof. Agapios Sachinidis vom Institut für Neurophysiologie in Köln setzt humane embryonale Stammzellen ein und kombinierte die Techniken des zweidimensionalen Elektrophorese, Transkriptomics und Mikroarrays mit der Tandem-Spektroskopie, um den Einfluss von Thalidomid auf die Differenzierung der Gliedmaßen und des Herzens z. B. zu zeigen. Hierbei konnte gezeigt werden, dass Thalidomid die Genexpression von RANBP1 hemmt, das normalerweise eine wichtige Rolle beim kerncytoplasmatischen Transport von Proteinen spielt sowie die Gene für das Enzym Glutathion S-transferase (GSTA1 und GSTA2), das eine wichtige Rolle bei der Detoxifizierung von z. B. karzinogenen Substanzen spielt.

Die niederländische Forschergruppe um Prof. Aldert Piersma vom niederländischen National Institute of Public Health and the Environment (RIVM) befasst sich u.a. mit der Charakterisierung von Änderungen in der Genexpression während der verschiedenen Differenzierungsstadien der embryonalen Stammzellen in verschiedene Zelltypen. Dafür wird die Technik des Transkriptomics genutzt. Auf diese Weise identifiziert die Forschergruppe eine „Differenzierungsspur“, die für Änderungen in der Genexpression verantwortlich sind. Auf der Suche nach einer geeigneten Differenzierungspathway der Stammzellen wurden chemische Substanzen verglichen, die einen Substanzklassen-spezifischen Einfluss auf die Genexpression ausüben. Wird dieser Pathway gefunden, können chemische Stoffe auf ihren entwicklungstoxikologischen Einfluss hin getestet werden.

So wurden auf der Tagung unter anderem auch mehrfach die Artunterschiede ("Interspecies Differences") thematisiert: Prof. Ellen Fritsche vom Leibniz Institut für Umweltmedizin informierte über die Spezies-spezifischen Unterschiede in diesen Stoffwechselsignalwegen am Beispiel der Differenzierung von Nervenvorläuferzellen in Neuronen. Als Modell nutzt sie Neurosphären, dreidimensionale Zellkulturmodelle aus Nervenvorläuferzellen, die in Kultur wachsen und in die Umgebung migrieren können, wo sie sich zu Neuronen oder Gliazellen weiter entwickeln.


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Prof. Fritsche zum Thema Speziesunterschiede bei Neurotoxizitätsuntersuchungen in vitro unter Verwendung von 3D-Kulturen.

Foto: Christiane Hohensee


Das Unternehmen Primacyt hat in Zusammenarbeit mit der Universität Greifswald, der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen und der Charité Berlin primäre Hepatozyten eingesetzt und die Membrantransporter bei der Aufnahme des Substrats Estrone-3-Sulfat untersucht. Verglichen wurden die Hepatozyten von nicht-humanen Primaten (Cynomolgus), dem Hund, der Ratte und dem Menschen. Die Wissenschaftler nahmen eine artspezifische Charakterisierung der Transportkanäle durch Vergleich der Aufnahmen verschiedener Substrate vor, die bei Medikamententests eingesetzt werden. Alle Hepatozyten verhielten sich mehr oder weniger unterschiedlich in Abhängigkeit von Temperatur und Substrat. Die Ergebnisse zeigten, dass die Transporter-Studien der Hepatozyten mit den Tier nicht auf den Menschen übertragen werden können.

Das saarländische Unternehmen Across Barriers stellte ein humanes Cornea-Modell vor, das geeignet ist, neue oder modifizierte Augenmedikamente sowie die Verträglichkeit von Konservierungsstoffen in diesen Medikamenten zu testen, um Tierversuche zu reduzieren.  Untersucht wird mit diesem Modell, wie Substanzen durch die Cornea hindurch zum Wirkort des Auges gelangen können. Das dreidimensionale Modell, bestehend aus immortalisierten Zelllinien der menschlichen Cornea wurde im Hause bereits etabliert, nun erfolgte die nächste Stufe, die Prä-Validierungsstudie in drei voneinander unabhängig arbeitenden Labors. Gestetet werden pharmakologisch relevante Substanzen unter unterschiedlichen physiko-chemischen Bedingungen. In Kürze stellen wir Across Barriers in unserer Rubrik „Arbeitsgruppe im Portrait“ vor.

Sehr vielversprechend ist auch die Entwicklung des Skin-Sensitisationtests von BASF, das von Dr. Robert Landsiedel vorgestellt worden ist. Hier werden drei Tests zu einer Teststrategie miteinander kombiniert, der DRPA (Direct Protein Reactivity Assay), der LuSens (ein Test mit Kreatinozyten) und der MUSST bzw. h-CLAT Assay (human cell line activation test). Im Gegensatz zu den Einzeltests liegt die Genauigkeit der Teststrategie nach Testung von 54 Substanzen bei 94 Prozent - ein gutes Ergebnis. Das Verfahren befindet sich bereits in der Validierung beim European Center for the Validation of Alternative Methods (ECVAM). Allerdings wird ECVAM die Validierung bis zum Beginn 2013 nicht beendet haben, hieß es, dann nämlich tritt die letzte Stufe der EU-Kosmetikrichtlinie in Kraft. BASF wird die Testkombination jedoch schon mal im Hause einsetzen und wollen dann abwarten, wie die ECHA auf das Proposal reagiert. Der Test soll zur Identifizierung von Substanzen dienen, die zu einer allergischen Kontaktdermatitis führen können.

Dem österreichischen Forscherteam um Prof. Johannes Grillari in Zusammenarbeit mit einem chinesischen Team in Guangzhou, China, ist es gelungen, ohne jeglichen körperlichen Eingriff induzierte pluripotente Stammzellen aus dem menschlischen Urin zu gewinnen. Für Nierentoxizitätstests haben die Forscher eine neue Zellinie etablieren können (RPTEC (Renal Proximal Tubule Epithelial Cells)), die alle nötigen Eigenschaften der Primärzellen besitzt, jedoch eine Zelllinie ist. Sie konnte aus dem menschlichen Harn isoliert und immortalisiert werden. Die Zellen werden zunächst zu iPS-Zellen reembryonalisiert und dann zum gewünschten Zelltyp differenziert.

Auch in der Grundlagenforschung haben sich Wissenschaftler mit humanspezifischen Methoden auseinandergesetzt. Für Prof. Mark Cunningham aus Newcastle ist Epilepsie lediglich eine abnormale elektrische Aktivität im Gehirn. So nutzt er dünne Hirnschnitte, die vom menschlichen Neocortexgewebe angefertigt werden, die aus Biopsien stammen (sogenannte elektive neurochirurgische Operationen), um neue Einblicke in die Aufklärung von Epilepsie zu gewinnen. 

Im Rahmen des Kongresses wurden auch mehrere Preise verliehen. Den ALTEX-Award 2012 für die herausragendste Publikation aus dem Jahre 2011 wurde an Dr. Erwin van Vlieth für seinen Artikel “Current standing and future prospects for the technologies proposed to transform toxicity testing in the 21st century" verliehen.


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Die Präsidentin des Journals ALTEX, Dr. Dr. Stefanie Schindler, bei der Laudatio für den Preisträger Dr. Erwin van Vlieth. Rechts: Der Preisträger (dritter von links) in geselliger Runde am Abend.
Fotos: Christiane Hohensee


Zwei EUSAAT Poster-Awards wurden ebenfalls verliehen. Sie gingen an die Autoren Dr. Susanne Kolle, Dr. Kristie Sullivan, Dr. Annette Mehling, Dr. Ben van Ravenzwaay und Dr. Robert Landsiedel von BASF für ihren Posterbeitrag "Applicability of In Vitro Test Strategies for Skin Irritation to Regulatory Classification Schemes: Substantiating Test Strategies with Data from Routine Studies". Ein weiterer Preisträger war eine Arbeitsgruppe der University of Applied Sciences in Utrecht.



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Für die BASF-Arbeitsgruppe nahm Dr. Tzutzuy Ramirez Hernandez den Preis entgegen.
Zweiter Preisträger war die University of Applied Sciences in Utrecht. Dr. Stefan van Vaessen nahm den Preis entgegen.

Fotos: Christiane Hohensee



Auch die Tierschutzorganisation Four Paws vergab einen Posterpreis. Er ging an Yulia Kaluzhny, Helena Kandarova, Laurence d’Argembeau-Thornton, Patrick Hayden and Mitchell Klausner von MatTek Corporation für die Entwicklung des EpiOcular Augenreizungstests zur Identifizierung und Kennzeichnung von augenreizenden Chemikalien, der insbesondere hinsichtlich der Anforderungen der EU-Kosmetik- und Chemikalienrichtlinie von Bedeutung ist.


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Der Four Paws-Poster-Award wurde von Dr. Yulia Kaluzhny in Empfang genommen.
Foto: Christiane Hohensee



Sämtliche Beiträge in Abstractform können derzeit nachgelesen werden unter:
http://www.eusaat.org/images/2012/abstracts_eusaat_2012_final.pdf