Mittwoch, 15 November 2017 06:55

Tierschutzforschungspreis des Bundes geht an Sepsisforscher Empfehlung

Heute wird der 36. Tierschutzforschungspreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft in Berlin verliehen. Glückliche Gewinner sind in diesem Jahr Dr. Alexander Mosig und sein Team vom Universitätsklinikum Jena. Sie entwickeln nicht nur Organe auf dem Mikrochip, sondern integrieren darin auch organeigene Immunzellen, um der menschlichen Situation näher zu kommen. Damit studieren sie deren Funktion und Verhalten bei Organerkrankungen.

"...Ich bin überzeugt, dass diese Systeme die biomedizinische Forschung grundlegend verändern werden..."





So sehen Sieger aus. Erfolgreiche Forschungsarbeit gelingt immer nur in einem Team, Nachwuchsgruppe INSPIRE mit PD Dr. Alexander Mosig (rechts hinten).
Foto: Universitätsklinikum Jena, Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum für Sepsis und Sepsisfolgen


Dr. Alexander Mosig ist Leiter der Nachwuchsforschergruppe INSPIRE (Biochip-basierte Organmodelle) am Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum für Sepsis und Sepsisfolgen des Universitätsklinikums Jena. Das Team untersucht u.a. das menschliche Immunsystem in-vitro, d.h. in kleinen mikrofluidischen Systemen, die auch Organchips genannt werden. Sie sind allenfalls so groß sind wie eine Kreditkarte.

In Kooperation mit anderen Arbeitsgruppen geht das Team mit verschiedenen Chip-Systemen von miniaturisierter Leber, Niere, Knochengewebe, Lunge, Blut-Hirn-Schranke und Niere zum Beispiel der Frage nach, wie sich eine Sepsis auswirkt und körpereigene Immunzellen z.B. die nützlichen körpereigenen Mikroorganismen von schädlichen Fremdlingen unterscheiden können. Mit den Modellen untersucht das Team ferner Organfunktionsstörungen, testet aber auch neue potenzielle pharmazeutische Behandlungsmöglichkeiten.

In einer aktuellen Arbeit hat das Team untersucht, welche Rolle Immunzellen des angeborenen Immunsystems (Makrophagen) beim Fortschreiten oder bei der Eindämmung einer Tumorentwicklung spielen und welchen Einfluss pharmazeutisch wirksame Substanzen dabei ausüben können. Für die Untersuchungen wurden Endothelzellen aus Nabelschnurblut und Brustkrebszellen auf dem Biochip (Tumor-on-Chip) gezüchtet und die gewünschten Immunzellen einer bestimmten Ausprägung (M1 und M2) dazugegeben und kultiviert.

Im Übrigen sucht die Arbeitsgruppe gegenwärtig nach einer/m Masterandin/en zur Untersuchung der Makrophagenfunktion im Leber-on-Chip-Modell.

Preisträger Dr. Alexander mosig und Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt.
Foto: Christiane Hohensee



InVitro+Jobs sprach mit dem diesjährigen Bundestierschutzforschungspreisträger, Privatdozent Dr. Alexander Mosig, über seine Forschung und die Perspektiven der Entwicklung von Organ-on-Chip-Systemen.

InVitro+Jobs: Herzlichen Glückwunsch zur Tierschutzforschungspreisverleihung, die heute in Berlin stattfindet. Der Titel Ihres Vortrages lautet "Mikrophysiologische Systeme als Werkzeuge zur Reduktion von Tierversuchen in der immunologischen Forschung". Worum geht es da?

Dr. Alexander Mosig: Wir haben am Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum Sepsis und Sepsisfolgen in Jena Methoden entwickelt, mit denen wir die Reaktion des menschlichen Immunsystems auf Infektionen untersuchen können. Diese immunologischen Reaktionen sind, abhängig vom Organ, in dem sie stattfinden, höchst unterschiedlich. Einerseits werden beispielsweise Bakterien des Mikrobioms im Darm toleriert und sind dort enorm wichtig für unsere Gesundheit, andererseits müssen Bakterien im Blutstrom oder in der Leber aktiv bekämpft werden, da hieraus eine lebensbedrohende Infektion entstehen kann. Um die zugrundeliegenden Prozesse der Immunabwehr und der gezielten Toleranz gegenüber kommensalen Mikroorganismen in unserem Körper besser verstehen zu können, haben wir Organnachbildungen auf einen Biochip entwickelt. Diese sogenannten Mikrophysiologischen Systeme werden häufig auch als Organ-on-Chip bezeichnet.

InVitro+Jobs: Haben Sie dabei auch Mechanismen untersucht, wie Tumorzellen Immunzellen umprogrammieren, so dass sie die Tumorzellen nicht beseitigen, sondern ihnen sogar helfen?

Dr. Alexander Mosig: Das Immunsystem ist nicht nur für die Abwehr von Infektionen wichtig, sondern bekämpft auch entstehende Tumorzellen. Makrophagen, wichtige zelluläre Komponenten unseres Immunsystems, spielen dabei eine besondere Rolle. Wir haben deshalb Systeme entwickelt, in denen wir zentrale Komponenten eines Tumors unter physiologischem Kulturbedingungen im Biochip nachbilden. Mit diesem System konnten wir gemeinsam mit Kollegen aus der Pharmakologie den Wirkmechanismus von verschiedenen Substanzen nachvollziehen und zeigen, dass diese Substanzen in der Lage sind, Makrophagen umzuprogrammieren, so dass diese dann Tumorzellen gezielt angreifen und abtöten.

InVitro+Jobs: Welche Tierversuche wollen Sie mit ihren Modellen ersetzen? Wie relevant wäre hier ein Versuchstier? Gegebenenfalls, weshalb ist es hier irrelevant?

Dr. Alexander Mosig: Die Bandbreite der ersetzbaren Tierversuche ist groß. Insbesondere in der immunologischen und infektiologischen Forschung werden häufig Mäuse und Ratten verwendet. Es bestehen aber deutliche Unterschiede zwischen dem Immunsystem der Maus und dem des Menschen. Aufgrund unterschiedlicher Lebensräume und Ernährungsweisen haben sich im Verlauf der Evolution auch unterschiedliche Strategien im Umgang mit Entzündungen und Infektionen herausgebildet. Ergebnisse aus dem Mausmodell sind deshalb nicht einfach direkt auf den Menschen übertragbar. Immer wieder werden bemerkenswerte Studien veröffentlicht, die eine Beteiligung einzelner Gene oder Proteine bei der Entstehung unterschiedlicher Erkrankungen zeigen. Die Entwicklung darauf aufbauender Therapieansätze für den Menschen ist aber wegen der eingeschränkten Übertragbarkeit schwierig. Aus meiner Sicht bedarf es einer kombinierten Strategie aus in vitro-Modellen und - noch immer - Tiermodellen. In vitro-Methoden erlauben das Arbeiten mit menschlichen Zellen, bieten aber noch nicht den Komplexitätsgrad eines Tiermodells. Andererseits besitzen Tiermodelle eben speziesbedingte Unterschiede zum Menschen. Durch Kombination beider Methoden können aber schon jetzt viele Untersuchungen anstatt im Tier in komplexen menschlichen Zellkulturmodellen gemacht werden. Am Ende bedarf es gegenwärtig aber leider noch immer einer abschließenden Validierung im Tiermodell. Wir können heute also Tierversuche schon wirksam reduzieren, vollständig ersetzen können wir diese leider noch nicht. Das wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein.

InVitro+Jobs: Wie weit sind die Forscher derzeit mit der Entwicklung von (Multi)Organ-on-a-Chip-Modellen?

Dr. Alexander Mosig: Wir stehen hier am Anfang einer aufregenden Entwicklung und die ersten Ergebnisse sind ermutigend. Die Technologie hat zunehmend mediale Aufmerksamkeit bekommen und bietet ein enormes Potenzial. Es gibt fast wöchentlich neue und teilweise bahnbrechende Entwicklungen auf diesem Gebiet. Ich bin überzeugt, dass diese Systeme die biomedizinische Forschung grundlegend verändern werden. Große internationale Pharmaunternehmen nutzen Organ-on-chip Systeme bereits jetzt in der Forschung zur Reduktion von Tierversuchen. Eine vollständige Nachbildung ganzer Organe mit allen Funktionen auf einen Chip steht aber noch aus. Die Nachbildung des gesamten menschlichen Körpers auf einen Chip (Human-on-chip) ist deshalb noch mehr Vision als Wirklichkeit.

InVitro+Jobs: Für welche organähnlichen Systeme kann man heute schon Immunzellen integrieren?

Dr. Alexander Mosig: Es gibt hier verschiedene Systeme und Ansätze, entsprechend den jeweiligen Fragestellungen. Immunzellen sind praktisch mit allen Organen unseres Körpers in direktem Kontakt. Einzelne Komponenten des Immunsystems wurden deshalb von verschiedenen Gruppen bereits erfolgreich in mikrophysiologische Modelle zur Nachbildung der Leber, des Darms, der Niere, der Lunge und anderer Organe integriert.

InVitro+Jobs: Ist es schwierig, das Immunsystem in die miniaturisierten humanen Gewebe zu integrieren? Wie schafft man das?

Dr. Alexander Mosig: Die wesentliche Herausforderung dabei liegt in der Isolation lebender, nicht aktivierter Immunzellen. Wir verwenden überwiegend Immunzellen aus dem Blut. Deren Isolation und Kultivierung ist sehr gut standardisierbar und mit verhältnismäßig geringem Zeitaufwand umsetzbar. Die Gewinnung von geeigneten Immunzellen aus Geweben, beispielsweise der Leber, ist dagegen deutlich schwieriger und kostenintensiver. Hier arbeiten wir gemeinsam mit Kooperationspartnern an geeigneten Lösungen.

InVitro+Jobs: Ist es notwendig, dass Forscher Immunzellen standardmäßig in die Organ-on-a-Chipmodelle integrieren?

Dr. Alexander Mosig: Der Vorteil von Organ-on-chip Systemen liegt auch in ihrer Skalierbarkeit, die an die entsprechende Fragestellung der Studie angepasst werden kann. Immunzellen spielen bei einer Vielzahl von Vorgängen im Körper eine wichtige Rolle. Sie können die Toxizität von Substanzen verstärkten oder das Geschehen bei Erkrankungen positiv oder auch negativ beeinflussen. Ob Immunzellen jedoch in Organ-on-chip Systeme integriert werden sollten hängt sehr von der Studie und jeweiligen Fragestellung ab. Sicher ist es nicht in jedem Fall erforderlich und letztlich auch eine Abwägung von Kosten und Nutzen.  

InVitro+Jobs: Was kommt als nächstes - das Hormonsystem?

Dr. Alexander Mosig: Das ist ganz sicher ein wichtiges Forschungsfeld und wir werden hier in den nächsten Jahren viele wichtige Entwicklungen sehen. Für uns werden sich die Arbeiten aber vor allem auf die Nachbildung des Mikrobioms in Organ-on-chip Systemen fokussieren. Schätzungen gehen davon aus, dass in unserem Körper 5 bis 10 Mal mehr Mikroorganismen als Körperzellen vorkommen. Eine Störung des empfindlichen Gleichgewichts zwischen dem Mikrobiom und dem Wirt kann deshalb auch zu Erkrankungen führen. Die Biosystem-Technik erlaubt es, diese komplexen Wechselwirkungen über längere Zeiträume zu verfolgen und zu analysieren. Bei der Interaktion der Mikroorganismen mit den verschiedenen Organen spielt das Immunsystem natürlich eine zentrale Rolle.  

InVitro+Jobs: Was fehlt noch, um den Tierversuch z.B. in der systemischen Toxikologie zu ersetzen?

Dr. Alexander Mosig: Es liegt noch viel Arbeit vor uns und die Systeme müssen weiter verbessert werden, um noch präzisere Ergebnisse zu erhalten. Wahrscheinlich werden wir aber künftig auch große Studien sehen, in denen die Rahmenbedingungen für einzelne Toxizitätsanalysen mit Organ-on-chip Systemen detailliert beschrieben werden. Mit diesen Daten kann die Zulassung der Systeme für die Wirkstoff- und Gefahrstofftestung durch behördlicher Regulatoren angegangen werden. Eine erfolgreiche Zulassung innerhalb gesetzlich vorgeschriebener Prüfverfahren kann den Durchbruch der Technik in der toxikologischen Prüfung bringen.

InVitro+Jobs: Der Dekan der Charité in Berlin hat in einem FAZ-Interview* gerade aktuell zu einem Paradigmenwechsel in der Förderpolitik aufgerufen. Die Verantwortlichen täten einfach nicht genug für Alternativen zu Tierversuchen. Teilen Sie diese Ansicht?

Dr. Alexander Mosig: Ich teile die Ansicht von Prof. Pries bezüglich des Paradigmenwechsels in der Förderpolitik vollständig. Seine Idee eines festen prozentualen Anteils an Fördermitteln für die Entwicklung und Bereitstellung von Alternativmethoden zum Tierversuch ist ein interessanter Vorschlag und ich bin gespannt wie die Fördermittelgeber darauf reagieren. Die Steigerung der bereitgestellten Finanzmittel zur Entwicklung einzelner Ersatzmethoden reicht aber sicher nicht aus. Es muss in dieser Hinsicht mehr bewegt werden, insbesondere bei Infrastrukturmaßnahmen als Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung von Ersatzmethoden. Ich freue mich deshalb sehr, dass die Charité hier mit dem geplanten „Einstein Center for Alternatives in Biomedical Research“ einen mutigen und richtigen Schritt gehen will.

InVitro+Jobs: Haben Sie schon einmal erlebt, dass ein Editor im Publikationsverfahren von Ihnen zusätzlich noch einen Tierversuch gefordert hat, obgleich er für diese Fragestellung völlig irrelevant wäre?<

Dr. Alexander Mosig: Ich habe dies persönlich noch nicht erlebt, kenne jedoch Kollegen, die mir von ähnlichen Dingen berichtet haben.

InVitro+Jobs: Wir danken für das Gespräch.

* http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/ein-berliner-institut-fuer-alternative-zu-tierversuchen-15260615.html