Diese Seite drucken
Artikel bewerten
(0 Stimmen)
Freitag, 09 Juni 2017 11:40

Katastrophe mit FAAH-Inhibitor in Frankreich: Wissenschaftler kritisieren fehlende präklinische Tests mit humanspezifischen Methoden Empfehlung

Anfang 2016 starb ein Proband in Rennes bei klinischen Tests einer pharmazeutischen Substanz. Es handelte sich um einen FAAH-Inhibitor der portugiesischen Firma Bial. In einem aktuellen Science-Artikel kritisieren an der Untersuchung beteiligte Wissenschaftler, dass im Vorfeld zu wenig auf Speziesunterschiede geachtet und zu wenige menschliche Zellulturen genutzt worden waren, wodurch es möglicherweise zu nicht vorhersehbaren unerwünschten Nebeneffekten gekommen war.

Als Ursache wird vermutet, dass die Substanz mit der Bezeichnung BIA 10-2474 in höheren Dosen nicht nur am gewünschten FAAH-Rezeptor, sondern auch an mehreren anderen ähnlichen Proteinen angedockte (Target-Off-Effekt), was zu schweren neurologischen Symptomen bei Mehrfachgabe an Probanden geführt hatte. Ein Proband starb.

Als einer der Hauptautoren des Science-Artikels zu den Untersuchungen wies Prof. Dr. Steven Kushner von der psychiatrischen Abteilung des Erasmus Medical Centers der Universität Rotterdam darauf hin, dass der aufgetretenen Effekt in Tierversuchen nicht vorhergesagt werden konnte, weil ein speziesabhängiger, sogenannter Off-Target-Effekt aufgetreten sei. Kushner erklärt, dass die Sicherheitsprüfung von BIA 10-2474 im Tierversuch die Nebenwirkungen beim Menschen nicht vorhersagen konnte. Dies unterstreiche die Wichtigkeit, Wirkstofftests auf neue humane Zellmodelle auszuweiten, mit denen das Sicherheitsprofil experimenteller Arzneistoffe besser abgeschätzt werden könne.

Das portugiesische Pharmaunternehmen Bial wollte aus BIA 10-2474 ein potentes Schmerzmittel und Anxiolytikum mit neuem Wirkmechanismus entwickeln. Es sollte FAAH, die Fettsäureamid-Hydrolyse, hemmen, ein Schlüsselenzym im Endocannabinoid-System. FAAH baut biologisch aktive Fettsäuren wie die Endocannabinoide Anandamid und Oleamid ab. Die Gabe von FAAH-Inhibitoren soll in der Theorie Schmerzen, Ängste und Stimmungsschwankungen lindern und auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und Multipler Sklerose helfen.

Originalpublikation:
Annelot C. M. van Esbroeck, Antonius P. A. Janssen, Armand B. Cognetta III, Daisuke Ogasawara, Guy Shpak, Mark van der Kroeg, Vasudev Kanta, Marc P. Baggelaar, Femke M. S. de Vrij, Hui Deng, Marco Allarà, Filomena Fezza, Zhanmin Lin, Tom van der Wel, Marjolein Soethoudt, Elliot D. Mock, Hans den Dulk, Ilse L. Baak, Bogdan I. Florea, Giel Hendriks, Luciano De Petrocellis, Herman S. Overkleeft, Thomas Hankemeier, Chris I. De Zeeuw, Vincenzo Di Marzo, Mauro Maccarrone, Benjamin F. Cravatt, Steven A. Kushner, Mario van der Stelt (2017): Activity-based protein profiling reveals off-target proteins of the FAAH inhibitor BIA 10-2474. Science 356/6342, 09 June 2017. http://science.sciencemag.org/content/356/6342/1084

Quellen:
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=69828
https://www.universiteitleiden.nl/en/news/2017/06/experimental-drug-bia-10-2474-deactivates-proteins-in-human-nerve-cells

Außerdem:
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/76264/BIA-10-2474-Erste-Erklaerungen-fuer-Todesfaelle-in-Phase-1-Studie