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Montag, 07 November 2016 14:04

EFSA/OECD-Workshop zur Entwicklungsneurotoxizität Empfehlung

Mitte Oktober trafen sich Toxikologen aus Europa und den USA in Brüssel, um den gegenwärtigen Stand der Entwicklung von tierfreien Untersuchungsmethoden auf Entwicklungsneurotoxizität (DNT) zu beraten und die nächsten Schritte zu bestimmen. Unter dem Motto “Developmental Neurotoxicity (DNT): the use of non-animal test methods for regulatory purposes”  trafen sich annähernd 60 Teilnehmer aus 15 Ländern.

In der frühen Phase der fötalen Entwicklung können Umweltsubstanzen Einfluss auf die Ausbildung und Differenzierung der verschiedenen Zelltypen bzw. auf die Verzögerung von Reifungsprozessen des Gehirns haben. Diese Störungen können dann in Form eines niedrigen IQs, von Autismus, Hyperaktivität, mangelnder Konzentrationsfähigkeit, beeinträchtigtem Erinnerungsvermögen oder Verhaltensstörungen in Erscheinung treten. Amerikanische Wissenschaftler schätzen, dass 10 bis 15 Prozent der Kinder im Vor- oder schulpflichtigen Alter von einer dieser Störungen betroffen sind. Die genauen Ursachen und Abläufe sind bislang noch weitgehend unbekannt, die Datenlage dürftig. Wissenschaftler nehmen an, dass Industriechemikalien, denen Frauen während der Schwangerschaft ausgesetzt waren, eine Rolle spielen. Eine werdende Mutter nimmt die Substanz über die Haut, die Luft oder oral (z.B. Pestizidrückstände) in ihren Körper auf und reicht sie oder eine verstoffwechselte Form dieser Substanz über die Planzenta an den Fötus weiter.

Über die Jahre sind immer mehr Substanzen charakterisiert worden, die eine entwicklungsneurotoxikologischen Einfluss haben können. Waren es in den Forschungsanfängen unbestrittene Substanzen wie Arsen, Blei und Methylquecksilberverbindungen, von denen man wusste, dass sie neurotoxische Wirkung haben, schätzen amerikanische Forscher heute, dass von mehr als 65.000 im Handel erhältliche Chemikalien bis zu 30 Prozent neurotoxisches Potenzial haben könnten.

In den USA gibt es ein sogenanntes Endocrine Disruptor Screening Program für Chemikalien, die als hormonwirksam eingeschätzt werden. Dabei kommt ein abgestuftes Testsystem zum Einsatz. Bislang waren entwicklungsneurotoxikologische Studien in Europa nicht verpflichtend, können aber nachgefordert werden, wenn aus anderen Untersuchungen der Substanz Hinweise auf DNT vorliegen (sogenannter Risk Based Approach).

Die derzeitige Rechtslage für Pflanzenschutzmittel z.B. sieht DNT-Studien an Nagetieren (Ratte und ggfs. Kaninchen) vor, um eine potenzielle Neurotoxizität der aktiven Substanz bewerten zu können. Dabei wird schwangeren Tieren einmalig oder wiederholt der Testsubstanz ausgesetzt und die Nachkommen auf ihre Pathologie und ihr Verhalten hin untersucht.  Am Tier untersuchen die Wissenschaftler spezielle Mechanismen, die mit neurotoxischen Mechanismen in Zusammenhang stehen, z.B. die Cholinesterasehemmung, Änderung im Schilddrüsenhormon-Haushalt oder andere hormonale Mechanismen mit Bezgu zum Nervensystem wie Östrogenlevel oder Anti-Androgenlevel. Prof. Marcel Leist, Inhaber des Doerenkamp-Zbinden-Lehrstuhls für In vitro-Toxikologie und Biomedizin der Universität Konstanz und Teilnehmer des Workshops wies darauf hin,
dass die meisten DNT-Endpunkte am Tier garnicht gemessen werden könnten, so z.B. Sprachstörungen, eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsdauer oder der IQ). Die Arbeit am Tier ginge von der irrigen Annahme aus, dass die von der DNT betroffenen Strukturen des Gehirns auch stammesgeschichtlich konserviert und die Forschungsergebnisse daher übertragbar seien.

Zur Untersuchung braucht es daher aussagekräftige und nach Möglichkeit humanspezifische Methoden. Es gibt bereits in vitro-Assays und auch Referenzchemikalien wurden identifiziert und können genutzt werden, auf Basis derer die entwickelten in vitro-Methoden auf ihre Zuverlässigkeit hin getestet werden können. Was noch fehlt ist die Ausarbeitung eines abgestuften Testsystems für aussagekräftige in vitro-Modelle.

Derzeit sind tierfreie in vitro-Modelle und Assays an insgesamt 7 Adverse Outcome Pathways (AOPs) geknüpft. AOPs sind mechanistische Erklärungen für Toxizität und charakterisieren das Wissen von einem molekularen Ereignis in einer Zelle bis zum schädigenden Ereignis in einem Organismus. Es sollen in einem nächsten Schritt High-Content-Analysen und Hochdurchsatz-Screenings durchgeführt werden, um mit den Datenmengen
Vergleichsdaten zur Evaluierung der Leistungsfähigkeit der neuen Testansätze und Selektion der besten Tests nutzen zu können. Des Weiteren sollen Teststrategien, sogenannte Integrated Approaches on Testing and Assessment (IATAs) für regulatorische Zwecke entworfen werden. Die IATAs basieren auf einer Vielzahl an bereits existierenden und zu erhebenden Informationen wie in silico, in vitro-, epidemiologische und andere
Studien, aber auch Expositions- und Metabolismusdaten.

ECVAM will zudem weitere AOPs im Bereich der Entwicklungsneurotoxikologie bestimmen und Prediktionsmodelle auf diesem Gebiet entwickeln.

Quelle:
http://www.efsa.europa.eu/en/events/event/161018b