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Freitag, 10 Juni 2016 11:49

Workshopbericht: Serum-freie Medien sind besser als fötales Kälberserum Empfehlung

Anfang Juni traf sich eine Gruppe Wissenschaftler in der Akademie für Tierschutz in Neubiberg zu einem Workshop über Alternativen zum Fötalen Kälberserum. Es war der dritte dieser Art. Unter der Leitung von Prof. Gerhard Gstraunthaler (Universität Innsbruck) und Dr. Jan van der Valk (3Rs Center Utrecht) sowie Dipl.-Biologe Roman Kolar (Akademie für Tierschutz), tauschten sich Wissenschaftler aus Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Österreich, den Niederlanden, Italien und den Vereinigten Staaten über den gegenwärtigen Stand der Entwicklung aus und berieten über die Möglichkeiten, Wissenschaftler weltweit von den Vorzügen eines geeigneteren, spezifischeren und wissenschaftlich definierten Nährmediums zu überzeugen und das umstrittene fötale Rinderserum großflächig abzulösen.

Die Stiftung zur Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen (set) hatte Wissenschaftler, Unternehmen und eine Vertreterin der europäischen Validierungsbehörde EURL-EVCAM in die Räume der Akademie für Tierschutz in Neubiberg geladen, um über den gegenwärtigen Stand der Forschung bei der Anwendung zu diskutieren und Fragen zu erörtern, wie man bei Umsetzung der bereits vor einigen Jahren entwickelten Alternativen vorankommen kann.

Es funktioniert doch?

Definierte Zellkulturmedien (Basalmedien) stellen die Standardmedien für die Kultivierung tierischer und humaner Zellen dar. Jedoch werden die Primärzellen oder Zelllinien zusätzlich "motiviert", sich zu teilen. Das geschieht über ein noch nicht vollständig geklärtes Zusammenspiel von Hormonen und Wachstumsfaktoren aus fötalem Kälberserum (FKS), das dem Basalmedium zugefügt wird. Mit diesem Serum wird jedoch ein undefiniertes Gemisch biologisch aktiver Substanzen in ein definiertes Kulturmedium eingebracht – ein wissenschaftlich eigentlich nicht vertretbarer Vorgang.

Weltweit arbeiten Millionen von Labors zur Anzucht oder Kultivierung ihrer Zellen mit fötalem Kälberserum – mit steigender Tendenz. Das erfreut vor allem die Hersteller und Lieferanten dieser Flüssigkeit: durch die wachsende Nachfrage hat sich der Preis seit 2008 nahezu verfünffacht, was zunehmend zu einer starken finanziellen Abhängigkeit der Forschung von Serumlieferanten führt. Dass die Verwendung von tierischem Serum vom Rinderfötus und – meist – menschlichen Zellen physiologisch nicht passt wurde lange Zeit ignoriert. „Im Normalfall kommen somatische Zellen im Körper nicht in direkten Kontakt mit Serumproteinen“, erklärte Prof. Gerhard Gstraunthaler im Workshop. Dass die genaue Zusammensetzung nicht bekannt ist, stört jedoch scheinbar nicht wirklich. „Es funktioniert doch“, hört man Wissenschaftler hinter vorgehaltener Hand sagen, wenn auch keiner weiß, weshalb.

Sind FKS Forschungsergebnisse reproduzierbar?

Scheinbar funktioniert aber doch nicht alles, denn diese Behauptung muss spätestens seit der letzten Nature-Umfrage, publiziert im Mai 2016 neu überlegt werden. Denn rund zwei Drittel aller wissenschaftlichen Untersuchungen sind gar nicht reproduzierbar, mehr als 50 Prozent sogar im eigenen Labor nicht (1). Als Hauptgründe werden selektives Publizieren und Publikationsdruck angegeben. Dennoch wäre es wünschenswert, ausschließen zu können, dass ein Teil davon auf die Verwendung ungeeigneter Medien zurückzuführen ist. Der Zwang der Vergleichbarkeit der Forschungsergebnisse weltweit mit denen der anderen hält noch immer einen Großteil der Forscher davon ab, neue Wege zu gehen. Wenn alle damit arbeiten muss ich es auch tun. Aber sind die Ergebnisse wirklich vergleichbar?


 

Eine proteinreiche Umgebung durch die Verwendung von FKS ist für somatische Zellen stressig und kommt in der Natur gar nicht vor.
Grafik: Prof. Gstraunthaler, Universität Innsbruck.


Lange Zeit wurde in mühsamer Kleinarbeit ihre Zusammensetzung teilweise bestimmt, dieses Vorgang konnte jedoch nie erfolgreich abgeschlossen werden (2). Proteomics- und Metabolomics-Analysen haben ca. 1.800 verschiedene Proteine und rund 4.000 Metabolite ermittelt (3). Erschwerend kommt hinzu, dass die Serum-Zusammensetzung von Charge zu Charge sowie in Abhängigkeit von der Herkunft schwankt (3) und einige windige Unternehmer noch vor einigen Jahren auf die Idee kamen, das Serum zu panschen und Wachstumsfaktoren hinzuzugeben (4,5,6). Bereits in den 80er Jahren kamen ethische und Bedenken und technische Probleme bei der Verwendung von fötalen Kälberserum auf. 2002 wurden diese Befunde publiziert und einer größeren wissenschaftlichen Gemeinde bekannt gemacht. Unter der Leitung von Dr. Jan van der Valk folgten zwei Workshops in 2003 und 2009, die sich mit den Fragen beschäftigten, wie sich das Tierleid der Rinderföten verringern und der breite Einsatz von inzwischen entwickelten Alternativen zum FKS gefördert werden könnte. Seitdem hat sich Einiges getan: Diverse Firmen bieten serumfreie Medien für verschiedene Zelllinien an, der Verbrauch an FKS steigt jedoch trotzdem weltweit unermüdlich an.

Forscher verlangen nach FKS-Kulturen

Das Leibniz-Institut "Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) GmbH" ist eines der weltweit größten Bioressourcenzentren. 700 immortalisierte menschliche und tierische Zelllinien werden hier gesammelt. Neben dem wissenschaftlichen Service (Beratung und z.B. Speziesidentifizierung, Bereitstellung von Zelllinien u.v.m.) betreibt das Institut selbst sammlungs-bezogene Forschung. Am DSMZ laufen 10 Prozent der Kulturen mit FKS-freien Medien, häufig ein Zelltyp parallel auf serumfreien und gleichzeitig auf FKS-Medien. Jedoch bestellen Wissenschaftler bei ihnen hauptsächlich FKS-kultivierte Zellen für ihre Forschung. Der Molekularbiologe Dr. Wilhelm Dirks von der Abteilung Animal and Human Cell Lines des DSMZ berichtet von der hohen Variabilität der FKS: bei schlechten FKS-Chargen kann es zu einer Wachstumsselektion bestimmter Klone eines Zelltyps kommen kann.

ECVAM empfahl schon 2008 Serum-freie Medien

Probleme durch Chargen-, geografische und saisonale Variationen sowie interspezifische Unterschiede zwischen den Labors im Umgang mit dem FKS hat die europäische Validierungsbehörde EURL-ECVAM bereits 2008 ermittelt und benannt. Das Serum kann z.B. den Entzündungsbotenstoff TNFß1 unterdrücken und so z.B. im Bereich der immunologischen Forschung zu falschen Ergebnissen führen. Das wissenschaftliche Beratungskommittee der ECVAM, ESAC, veröffentlichte daher in bereits im Mai 2008 die Empfehlung zur Verwendung nicht-tierischen Serums bzw. von Ersatzmedien zum FKS und anderer tierischer Ergänzungsmittel, wo immer möglich (7). Aber seit der ECVAM-Empfehlung hat sich nicht viel getan. Es wurde daher nun angeregt, als Akzeptanzkriterien für eine Prävalidierungstudie neuer Methoden künftig die Verwendung Serum-freier Medien einzufordern. Ein Paper über Good Cell Culture Practise für Stammzellen ist bei ECVAM bereits in Arbeit, wie Dr. Francesca Pistollata berichtete.

Großes Leid für die Kühe und ihren Nachwuchs, aber keine gesetzliche Regelung

Die Gewinnung ist mit großem Leid für die Tiere verbunden. Wissenschaftler schätzen, dass 10 % aller Kühe, die im Schlachthof landen, gleichzeitig trächtig sind (8). Pro Jahr sollen es in Deutschland 180.000 Kühe sein (9). Mittlerweile, so der Verband der Fleischwirtschaft VDF, sollen es 2015 „nur“ noch hochgerechnet 13.000 hochträchtige Rinder bundesweit geschlachtet worden sein (9a). Während die Nachfrage vor allem in Europa und den USA hoch ist, wird das FKS hauptsächlich in Ländern gewonnen, in denen die Rinderzucht intensiv betrieben wird wie in Brasilien, Argentinien, Südafrika u.a. Ländern. Es wird geschätzt, dass pro Jahr weltweit 800.000 Liter FKS verkauft werden (3).  Dafür werden zwei Millionen Rinderföten ausgebeutet. Manche Kühe bringen ihr Junges auf dem Weg in den Schlachthof zur Welt, in den Meisten Fällen kommt die Kuh trächtig beim Schlachthof an. Dort wird das Muttertier durch Bolzenschuss betäubt und - oft hängend an einem Bein - durch Entbluten getötet (10).

 

 

Hier werden noch 3,5 Liter FKS per Herzpunktion abgesaugt.
Quelle: Occupy for Animals (http://www.occupyforanimals.net/fetal-bovine-serum-or-fetal-calf-serum.html)


Der Fötus erstickt im toten Mutterleib. Wird im Schlachthof-Fließband ein trächtiges Tier vorgefunden, wird es separiert, der Uterus mitsamt der noch ungeöffneten Fruchtblase aus dem Knochengerüst des Muttertiers herausgenommen und entsorgt. In außereuropäischen Ländern, aber auch in Frankreich, wird dagegen eine dicke Nadel ohne Betäubung durch die Rippen in das noch schlagende Herz des Kälberfötus gestochen und pro Tier rund ein halber Liter Blut abgezapft (5). Das Tier stirbt am Ende qualvoll durch Blutentzug. Das ergibt eine Million Liter fetales Kälberserum pro Jahr (11). Bislang gibt es weder für den Schutz des Muttertieres, noch für den Fötus bundes-, oder EU-einheitliche Gesetze für den Umgang bei der Schlachtung (12). Die Agrarministerkonferenz hat den Bund 2014 gebeten, die bisherige Praxis der Schlachtung trächtiger Rinder in einem Bericht bis zur Frühjahrs-AMK 2015 darzustellen und sich auf nationaler und EU-Ebene für die Prüfung rechtlicher Bestimmung zur Vermeidung von Schmerzen und Leiden auch bei Föten bzw. ungeborenen Kälbern in Zusammenhang mit der Schlachtung gravider Rinder einzusetzen. Zudem sollte das BMEL darauf hinwirken, dass möglichst EU-einheitliche Kriterien zum Umgang mit graviden Rindern und mit weit entwickelten Föten entwickelt werden (13). Die Regierung teilte in 2014 mit, Deutschland habe die Problematik des Schlachtens trächtiger Tiere in Brüssel vorgetragen.  Die Europäische Kommission habe zugesagt, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein Mandat zur Klärung der offenen Fragen u.a. hinsichtlich der Reduzierung der Anzahl hochträchtig geschlachteter Tiere zu erteilen. Da jedoch die Anforderungen an den Tierschutz beim Schlachten oder Töten von Tieren in Schlachthöfen über die europäische Verordnung 1099/2009 (von 2004) abschließend geregelt sei, wären keine nationalen Regelungen zum Schlachten tragender Tiere in Schlachthöfen möglich (8). In Niedersachsen ist man trotzdem eigene Wege gegangen und hat die Schlachtung trächtiger Kühe schlicht verboten (12). Nordrhein-Westfalen hat eine Vereinbarung zur Vermeidung der Schlachtung trächtiger Rinder herausgegeben (14). Im Oktober 2015 hat die SPD Fraktion im Bayerischen Landtag den Antrag eingebracht, das Schlachten trächtiger Rinder in Bayern zu stoppen (Drs. 17/7223, 17/8252 (E)) (15).

Verstoß gegen europäisches Recht

Der Deutsche Tierschutzbund ist überzeugt, dass es nach der europäischen Tierversuchsrichtlinie EU/63/2010 nicht zulässig ist, das per Herzpunktion von ungeborenen Kälbern gewonnene Blut zu verwenden. Säugetierföten im letzten Drittel der Entwicklung sind von den Tierschutzkriterien der EU-Direktive geschützt. Das bedeutet, dass die Gewinnung von Serum von lebenden Föten, wie es in Frankreich der Fall ist, von der jeweiligen Competent Authority in den Mitgliedsstaaten genehmigt werden muss. Eine Genehmigung kann jedoch nur dann erteilt werden, wenn keine Alternative zum FKS vorhanden wäre. Deshalb sei die Verwendung von FKS in Europa nicht nur ein tierschutz-, sondern auch ein europäisches Rechtsproblem, ist Roman Kolar, stellvertretender Leiter der Tierschutz-akademie und Gastgeber des Workshops überzeugt. Er war u.a. jahrelang im wissenschaftlichen Beratergremium ESAC der ECVAM tätig.

Seit Jahren gibt es Alternativen zum FKS

Eine brauchbare Alternative für die Kultivierung von Humanzellen ist ein Medium, das aus menschlichen Thrombozytenextrakten gewonnen wird. Diese Zellen sind Abfall aus Blutspenden, die im Normalfall entsorgt werden. In den Thrombozyten sind die alpha-Granula von entscheidender Bedeutung, auf bzw. in denen sich das Transmembranprotein p-Selectin (CD62P) und verschiedene Wachstumsfaktoren befinden.


Das Adhäsionsmolekül P-Selectin hat eine wichtige Funktion bei der Interaktion von Blutzellen und dem Endothel. Nicht aktivierte Thrombozyten tragen P-Selectin an der inneren Membran der α-Granula. Ihre Aktivierung durch Thrombin, Type II-Collagen und ADP führt zur Freisetzung der α- und der dichten Granula. Die Innenwände der Granula werden nach außen gekehrt und der Außenseite der Zelle präsentiert. Die Freisetzung von P-Selectin fördert dann die Aggregation und Bindung von Thrombozyten untereinander durch Fibrin (16, 17).



Es gibt zellbiologische, physiologische, ethische und Kostengründe dafür, serum-freie Medien zu verwenden. Dafür müssen Informationen über bereits bestehende serum-freie Medien vorliegen, die leicht zugänglich sind und die bereits entwickelten Serum-freie Medien weiter optimiert werden.

Aber welche Medien sind gut geeignete Medien für humane Zell- und Gewebekulturen?

Kommerziell verfügbare Ersatzmedien sind nicht immer humanspezifisch. Es gibt Medienzusätze, die aus dem FKS herausisoliert und standardisiert worden sind. Allerdings liegen kaum Informationen zum Herstellungsprozess vor. Angeboten werden auf Extrakte, die aus tierischen Organen oder Geweben hergestellt wurden, oder pflanzliche Serumalternativen. Dabei sind die Definitionen von alternativen Kulturmedien zum FKS unübersichtlich. Forscher und Entwickler sprechen von serum-freien Medien, von protein-freien Medien, oder Medien, die tierfreie Bestandteile enthalten. Am weitesten entwickelt sind chemisch-definierte Basismedien ohne tierische (oder pflanzliche) Bestandteile, die eine Ergänzung durch definierte Wachstumsfaktoren humanen Ursprungs erhalten, welche Zellwachstum und Zellteilung fördern (18).

 

 

Ausgehend von einem Basismedium mit FKS hat sich im Laufe der Jahre die Qualität der Medien und deren Zusätze kontinuierlich verbessert. Das Ziel sind chemisch definierte Medien, deren Inhaltsstoffe und deren Quantität genau bekannt ist ohne tierische Zusätze sondern mit solchen humanen Ursprungs.
Grafik: Prof. Gstraunthaler, Universität Innsbruck.


Nach Rauch et al. (2011) sind die Qualitätskriterien für eine Grundmedium-Ergänzung auf der Basis von Thrombozytenlysaten (19).

- ein hoher Anteil an Thrombozyten-Wachstumsfaktoren (z.B. PDGF, VEGF, EGF, and TGF-β), aber wenig IGF-1
- ein geringer Thrombozyten-Proteingehalt

Ausgangsmaterial sind Thrombozytenkonzentrate gewonnen über Thrombozytenapherese eines Einzelspenders oder gepoolten Buffy coats* von mindestens vier Spendern gleicher Blutgruppe. In der Arbeitsgruppe von Prof. Gerhard Gstraunthaler von der Universität Innsbruck werden Blutplättchen (aus Buffy Coats oder aus Thrombozytenapherese gewonnen) nach dem gesetzlichen Ablaufdatum von 5 Tagen genutzt. Spenderthrombozyten sollten im frischen Zustand verwendet werden, da gefrorenes Material beim Auftauen die Thrombozyten aktiviert. Das Ausgangsmaterial wird unter sterilen Bedingungen in Gefäße überführt und vorsichtig zentrifugiert, der Überstand abgesaugt und die isolierten Thrombozyten in einer Salzlösung gewaschen, um den Anteil an Plasmaproteinen zu reduzieren. Die Suspension in Salzlösung wird dann in drei Gefrier- und Auftauprozessen weiterverarbeitet, indem beim Auftauen eine mechanische Störung der Thrombozyten erfolgt, die die gewünschten Wachstumsfaktoren, nicht jedoch unerwünschte Proteine freisetzt. Genaueres ist bei Gstraunthaler et al. (2015) nachzulesen (18). Ein weiteres Protokoll für gepoolte Spenderproben lässt sich bei Tchang et al. (2015) nachzustudieren (20).

Andere Ausgangsmaterialien wie Thromozyten-reiches Plasma ist weniger geeignet, weil sich in dem Material Plasmaproteine, Albumin und andere störende Proteine befinden. Leukozyten- und thrombozytenreiches Plasma ist ebenfalls ungünstig, weil Entzündungsbotenstoffe das Zellwachstum beeinflussen können. Auch Thrombozyten-Releasate sind nicht unbedenklich: hier sind durch Einfrieren und Auftauen die Thrombozyten schon aktiviert worden und können neben den gewünschten Wachstumsfaktoren der alpha-Granula auch andere, störende Proteine und Moleküle enthalten wie Thrombin, Collagen u.a.

Serum-freie Medien nicht nur in der regenerativen Medizin nötig

Prof. Dr. Karen Bieback vom Institut für Transfusionsmedizin und Immunologie der Medizinischen Fakultät Mannheim/Heidelberg befasst sich insbesondere mit der Entwicklung neuartiger zell-basierter Therapien aus mesenchymatischen Stammzellen, die aus Nabelschnurblut, Fettgewebe und Knochenmark des Menschen gewonnen werden können. Für die Zucht ausreichender Mengen ist das geeignete Kulturmedium ein wichtiger Faktor, jedoch sehen die meisten Protokolle noch immer die Verwendung von FKS vor. Dabei ist FKS völlig ungeeignet wegen der hohen Variabilität der Ergebnisse, der Gefahr von Verunreinigungen mit Prionen oder Viren oder einer denkbar möglichen anaphylaktischen Reaktion während der Anwendung am Patienten. Daher muss die Verwendung von FKS in der klinischen Anwendung vermieden und durch xeno-freie, (d.h. ohne tierische Bestandteile), Mediensupplemente wie z.B. durch humane Thrombozytenlysate ersetzt werden.

Die tierversuchsfreie Forschung muss nachziehen

Die Schwierigkeit steckt in der Entwicklung GMP-konformer Protokolle. Die Entwicklung von chemisch definierten Medien befindet sich noch in den Kinderschuhen. In einer aktuellen Forschungsarbeit hat die Wissenschaftlerin ermittelt, dass die Ergebnisse mit selbst hergestellten humanen Thrombozytenlysaten besser mit existierenden Daten vergleichbar, an den Einzelbedarf anpassbar und preisgünstiger sind. Kommerziell verfügbare Medien führen zwar ebenfalls zu guten Proliferationsergebnissen, können aber nicht an die Einzelbedürfnisse angepasst werden, weil in der Regel nicht genau bekannt ist, in welchen Mengen welche Bestandteile enthalten sind. Sie sind zudem kostenintensiver.

Die Wissenschaftler waren sich einig, dass FKS nicht nur in der klinischen Anwendung, sondern generell vermieden werden muss. Auch in der in-vitro-Toxikologie, der Biotechnologie oder in der Grundlagenforschung müsse das FKS ersetzt werden, zumal die Forschung häufig an humanen induzierten pluripotenten Stammzellen und daraus entwickelten Organen oder Geweben stattfindet. Die tierversuchsfreie Forschung muss hier also nachziehen.

So arbeiten auch die Forscher bei der cellasys GmbH, die Lab-on-a-chip-Systeme entwickelt haben, mit serum-freien, human-spezifischen Medien, wie Dr. Joachim Wiest, CEO von cellasys, berichtet. In seinen Systemen werden die lebenden Zellen über einen Zeitraum von 28 Tagen nicht-invasiv und ohne die Zellen zunächst zu labeln alle fünf Minuten hinsichtlich ihrer elektrischen Leitfähigkeit und des Sauerstoffgehalts gemessen. Eine Vergleichsstudie mit FKS und serum-freien Medien hat gezeigt, dass das FKS in den Systemen bei toxikologischen Experimenten nicht notwendig ist (21).

Dr. Daniel Thieme vom Cornea-Labor der Augenklinik des Universitätsklinikums Erlangen berichtet von den Anforderungen an ein Lagermedium für Transplantate: für eine erfolgreiche Transplantation müssen die Zellen der Spendercornea möglichst vital gehalten werden. In der Zellkultur zeigen corneale Zellen mit humanem Thrombozytenextrakt eine überlegene Vitalität verglichen mit FKS Kultur. Mit humanem Thrombozytenlysat bleiben die endothelialen Zellen im Gewebe über einen längeren Zeitraum vital und homogen, während sie mit FKS früher anschwellen und absterben. Primärzellen, die mit FKS kultiviert werden, seien für therapeutische Anwendungen schlechter geeignet, da sie durch stark variierende Hormone im FKS transformiert und damit unbrauchbar werden können.

Dr. Markus Schulz von der Abteilung Experimentelle Toxikologie und Ökologie der BASF teilte seine Erfahrungen im Bereich der regulatorischen Toxizitätstests mit. Im Rahmen der Sicherheitsprüfungen müssen Tests auf Genotoxizität durchgeführt werden. Das Labor führt u.a. den Mikrokerntest zur Detektion eventueller Chromosomenschäden mit einer humanen Lymphoblastenzelllinie (TK6) nach OECD-Testrichtlinie 487 durch (22). Eine Vergleichsstudie hat ergeben, dass sich mit Serum-freien Medien vergleichbare Ergebnisse erzielen lassen.

In den USA sind serum-freie humanspezifische Medien seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit. An der Universität von Zentral-Florida in Orlando haben die Wissenschaftler schon vor über 20 Jahren die ersten Serum-freien Medien entwickelt und den Störfaktor Serum entfernt, der zu variablen Ergebnissen führt, wie Prof. James J. Hickman, Gründungsdirektor des NanoScience Technology Centers, berichtet. Mittlerweile gibt es hier serum-freie Medien für alle möglichen Zelltypen und selbstverständlich auch in den 4-Organ-Chips, deren Testergebnisse in-vivo vergleichbar sind. Sie haben das Potenzial, den Tierversuch in Bereich der Arzneimitteltestung und in der kosmetischen Industrie abzulösen.

Die Anbieterseite

Von Seiten der kommerziellen Anbieter war Dr. Jianan Fu von PAN Biotech zu Gast. Ein hochqualitatives Ersatzprodukt für FKS ist sehr kostenintensiv. Die Kommerzialisierung von Alternativmedien steht noch am Anfang ihrer Entwicklung. Dabei hat jeder Forscher ein spezifisches Problem, das gelöst werden muss.

Die Industrie ist bereits auf die Thrombozyten aufmerksam geworden. Mittlerweile gibt es rund 10 Firmen, die Thrombozytenlysate anbieten, darunter ist die Firma Cook Biotech die größte. Das Problem dabei ist jedoch, dass die Thrombozytenspenden zum Transport und zur Lagerung tiefgefroren werden müssen. Das führt zur Beschädigung der Zellwände und damit zur Freisetzung von Proteinen zusätzlich zu den α-Granula, die sich nachteilig in der Zellkultur auswirken könnten. Ein frisches, gereinigtes Thrombozytenkonzentrat bewegt sich in einem Kostenbereich von ca. 200 € pro Einheit. Thrombozytenreiches Plasma ist jedoch ungeeignet, weil sich störendes Humanserum darin befindet. Es gibt zudem noch keine einheitlichen Qualitätsstandards. Laboratorien in der Grundlagen- und klinischen Forschung nutzen in der Regel ihre eigenen In-House-Medien, die für andere nicht zugänglich sind. Es muss eine Möglichkeit gefunden werden, wie Firmen Thrombozytenlysate in der hohen Qualität anbieten können, damit sie flächendeckend verfügbar sind. Eine Marktstudie soll Erkenntnisse darüber liefern, ob serum-freie Medien für Firmen interessante Produkte sind, in die es sich zu investieren lohnt.

In einer Folgestudie soll untersucht werden, welche Faktoren zu definieren sind, um ein serum-freies Medium später validieren zu können.

Eine aktuell gepflegte Datenbank zur Beratung existiert bereits

Dr. Bret Cochrane von der britischen Dr. Hadwen Trust (DHT) stellte eine Datenbank für serum-freie Medien vor. Die größte britische Stiftung für tierversuchsfreie medizinische Forschung hat in den letzten 5 Jahren 3,2 Millionen britische Pfund in die Forschung investiert und eine Datenbank mit kommerziell erhältlichen serum-freien Medien aufgebaut, die weltweit als Anlaufstelle für Forscher gilt, die nach entsprechenden Medien suchen. Diese Datenbank ist mittlerweile mit einer weiteren Datenbank der dänischen Gesellschaft zum Schutz von Labortieren (Forsøgsdyrenes Værn) verknüpft worden. Nun geht es darum, diesen Fundus einem großen Nutzerkreis bekannt zu machen (23, 24).

Die Workshopteilnehmer kamen darin überein, dass bereits verfügbare Alternativmedien zum FKS über vielfältige Kanäle im größeren Stil beworben und andere Wissenschaftler von den Vorzügen überzeugt werden müssen. Als hilfreich wurde die Konzeption einer Vortragsreihe zum Thema erachtet. Vorgeschlagen wurde ferner, dass alle Forscher Informationen über neu entwickelte Medien zur Aufnahme in die Datenbank direkt an die DHT weiterleiten sollen.

Quellen:

(1) Bayer, M. (2016): Is there a Reproducibility Crisis? Nature 533: 452-454.
(2) http://www.invitrojobs.com/index.php/de/forschung-methoden/arbeitsgruppe-im-portrait/item/1763-arbeitsgruppe-im-portrait-molekulare-physiologie-der-niere-der-medizinischen-universitaet-innsbruck
(3) Gstraunthaler, G., Lindl, T. & van der Valk, J. (2014): A severe Case of Fraudulent Blending of Fetal Bovine Serum Strengthens the Case for Serum-free Cell and Tissue Culture Applications. ATLA 42: 207-209.
(4) Balser, M., Berndt, C. & Ritzer, U (2015): Das schmutzige Geschäft mit dem Blut ungeborener Kälber. Süddeutsche Zeitung, 10. August 2015.
(5) Baars, C. (2015): Dubiose Geschäfte mit Blut von Kälberföten. 12. August 2015, http://www.tagesschau.de/inland/kaelberserum-101.html
(6) Berndt, C. & Ritzer, U. (2015): Doping in der Petrischale. Süddeutsche Zeitung, 10. November 2015.
(7) https://eurl-ecvam.jrc.ec.europa.eu/about-ecvam/archive-publications/publication/ESAC28_statement_FCS_20080508.pdf
(8) Deutscher Bundestag Drucksache 18/1535 vom 26. Mai 2014. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/015/1801535.pdf
(9) Lorenzen, S. (2015): Das Schlachten trächtiger Kühe. Der kritische Agrarbericht 2015: 232-236. http://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2015/KAB2015_232_236_Lorenzen.pdf
(9a) Fenske, D. (2016): Darf man trächtige Kühe schlachten? http://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/unser-land/landwirtschaft-und-forst/tierschutz-darf-man-traechtige-kuehe-schlachten100.html
(10) Hilsenbeck, E. M. (2007): Untersuchungen zur Entblutezeit bei Rindern nach Bolzenschuß-betäubung. Dissertation an der tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:YEVF7Syx2cgJ:edoc.ub.uni-muenchen.de/6897/1/Hilsenbeck_Eva_Maria.pdf+Bolzenschuss+%2B+Fehlbet%C3%A4ubung&hl=de&ct=clnk&cd=13&gl=at&lr=lang_de
(11) http://www.laborjournal.de/editorials/770.lasso
(12) http://www.ml.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=1810&article_id=137062&_psmand=7
(13) Ergebnisprotokoll Agrarministerkonferenz am 5. September 2014 in Potsdam. https://www.agrarministerkonferenz.de/documents/Ergebnisprotokoll_AMK_Potsdam_05-09-2014_endg.pdf
(14) http://www.rlv.de/nachricht/detail/nordrhein-westfaelische-vereinbarung-zur-vermeidung-der-schlachtung-tragender-rinder/
(15) Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 17/55, 55. Sitzung vom 20.10.2015. https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP17/Protokolle/17%20Wahlperiode%20Kopie/17%20WP%20Plenum%20Kopie/055%20PL%20201015%20ges%20endg%20Kopie.pdf
(16) Cleator, J.H., Zhu, W.Q., Vaughan, D.E. & Hamm, H.E. (2006): Differential regulation of endothelial exocytosis of P-selectin and von Willebrand factor by protease-activated receptors and cAMP. Blood 107 (7): 2736–44. doi:10.1182/blood-2004-07-2698. PMC 1895372. PMID 16332977.
(17) Harrison, P. & Cramer, E.M. (1993): Platelet alpha-granules. Blood Rev. 1993 Mar;7(1):52-62.
(18) Gstraunthaler, G., Rauch, C., Feifel, E. & Lindl, T. (2015): Preparation of Platelet Lysates for Mesenchymal Stem Cell Culture Media. Journal of Stem Cells Research, Reviews & Reports.
(19) Rauch, C., Feifel, E., Amann, E.-M., et al. (2011): Alternatives to the Use of Fetal Bovine Serum: Human Platelet Lysates as a Serum Substitute in Cell Culture Media. Altex 28, 4/11: 305-316.
(20) Tchang, Laurent A., Pippenger, Benjamin E., Todorov Jr, Atanas, et al. (2015): Pooled thrombin-activated platelet-rich plasma: a substitute for fetal bovine serum in the engineering of osteogenic/vasculogenic grafts. J Tissue Eng Regen Med. DOI: 10.1002/term.2054.
(21) J. Wiest, R. Kolar, I. Ruhdel: Comparison of standard and fetal-calf-serum-free cell culture media by impedance measurement, ALTEX Proceedings, 2013, 2, 2, 136, ISSN 2194-0479
(22) http://www.oecd-ilibrary.org/environment/test-no-487-in-vitro-mammalian-cell-micronucleus-test_9789264091016-en
(23) http://www.drhadwentrust.org/science-and-education/serum-free-media
(24) http://forsoegsdyrenes-vaern.dk/