Donnerstag, 04 Juni 2015 09:07

EU-Kommission hält die Abschaffung von Tierversuchen für verfrüht Empfehlung

In einer Pressemitteilung hat die EU-Kommission auf die europäische Initiative "Stop Vivisection" und die kürzlich dazu veranstaltete Debatte im EU-Parlament reagiert. Zwar ist die Kommission auch der Überzeugung, dass Tierversuche in Europa eingestellt werden sollten, doch um dieses Ziel zu erreichen, verfolgt sie einen anderen Weg als den von der Bürgerinitiative vorgeschlagenen, hiess es.

Ein vollständiges Verbot von Forschungsarbeiten mit Tieren in der EU wäre jedoch verfrüht und birgt die Gefahr, dass die biomedizinische Forschung in
Länder außerhalb der EU verlagert wird," so Jyrki Katainen, Vizepräsident der Kommission für Arbeitsplätze, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit.
Das für Umwelt, maritime Angelegenheiten und Fischerei zuständige Kommissionsmitglied, Karmenu Vella, bestätigt die Zielsetzung der EU- Tierversuchsrichtlinie: „Das EU-Recht läuft letztlich auf eine Einstellung von Tierversuchen hinaus. Als Reaktion auf die Bürgerinitiative wird die Europäische Kommission eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, mit denen schnellere Fortschritte bei der Einführung und beim Einsatz alternativer Ansätze erzielt werden.

In der heute verabschiedeten Mitteilung bekräftigt die Kommission nochmals, dass sie ebenso wie die Bürgerinitiative der Überzeugung ist, dass Tierversuche eingestellt werden sollten. Gleichzeitig verweist sie darauf, dass genau dies letztendlich das Ziel der EU-Vorschrift über den Schutz der für
wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere ist (Richtlinie 2010/63/EU), für deren Außerkraftsetzung sich die Initiative einsetzt. Die Kommission ist der Auffassung, dass sich gerade diese Richtlinie dazu eignet, die Ziele der Initiative zu verwirklichen, weshalb sie nicht vorschlagen wird, sie außer Kraft zu setzen. Die Richtlinie ist notwendig, um ein hohes Schutzniveau für Tiere zu gewährleisten. Die Kommission wird die Richtlinie überprüfen, "sobald sie lange genug in Kraft war, um ihre Wirksamkeit bewerten zu können".

2016 wird die Kommission eine Konferenz mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und einschlägigen Interessenvertretern veranstalten und bei dieser
Gelegenheit einen Fortschrittsbericht über die bereits ergriffenen Maßnahmen vorlegen. In den letzten zehn Jahren haben technologische Fortschritte die biomedizinische Forschung revolutioniert. Zu den bahnbrechenden Entwicklungen zählen alternative Tests, bei denen vor allem Zell- oder Gewebekulturen eingesetzt werden, aber auch computergestützte Verfahren, die den Bedarf an Tierversuchen verringern. Viele komplexe physiologische und toxikologische Abläufe und Wirkungen lassen sich jedoch in Modellen nicht adäquat darstellen oder durch Alternativen bewerten, so dass nach wie vor Tierstudien benötigt werden, um Fortschritte in der Forschung zu erzielen und die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Umwelt zu schützen.

Der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO e. V) begrüßte die Entscheidung. Aus der Tatsache, dass nicht jedes Tiermodell dabei für jeden Forschungsansatz geeignet ist, könne keineswegs abgeleitet werden, dass Tiermodelle generell keinerlei Wert für den Menschen hätten, hieß es dazu. Das von Tierversuchsgegnern vorgetragene Argument, ohne ein vollständiges Verbot von Tierversuchen würde auch die Erforschung von Alternativmethoden keine Fortschritte machen, sei aus Sicht des VBIO weder stichhaltig noch zwingend. Um die Entwicklung von Alternativmethoden zu beschleunigen, unterstützt der Biologenverband jedoch ein deutlicheres Engagement der EU-Kommission im Bereich konkreter Förderprogramme. In die gleiche Richtung geht auch die Forderung des britischen Biologenverbandes, der Society of Biology.

Sven Giegold, Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament kritisiert das Vorhaben der EU-Kommission: “Kein zusätzlicher Euro für Forschung, keine vorgezogene Gesetzesüberprüfung, kein gerettetes Tierleben – die Europäische Bürgerinitative Stop Vivisection ist zu Recht enttäuscht von der Antwort der EU-Kommission. Die Kommission kündigt nur erneut an, was sie ohnehin bereits vorhatte: Eine Wissenschaftskonferenz über den
Forschungstand zu Tierversuchen Ende 2016, den Einstieg in eine Überprüfung der EU-Gesetze über Tierversuche im Jahr 2017. Die Kommission investiert keine zusätzlichen Mittel aus dem Forschungsbudget Horizon 2020 in Alternativen zu den nachweislich fehleranfälligen Tierversuchen. Vorerst gibt es gar keine legislativen Konsequenzen.

Die Grünen kritisieren auch die schwachen Wirkungen der Bürgermitwirkung in Form von Petitionen und fordern eine Reform des EU-Gesetzes zur Europäischen Bürgerinitiative für weniger Hürden und mehr Wirkung. Die Kommission sollte innerhalb eines Jahres nach einer erfolgreichen Bürgerinitiative einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Tut sie das nicht, muss das Europaparlament den Druck mit einem legislativen Initiativbericht
erhöhen, also einem präzisen Wunschzettel des Parlaments an die Kommission, die formal das alleinige Vorschlagsrecht hat.

Die von 1,17 Millionen Bürgern unterzeichnete Initiative gegen Tierversuche wurde der Europäischen Kommission am 3. März 2015 vorgelegt. Sie hatte unter anderem gefordert, die Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere außer Kraft zu setzen und einen neuen Vorschlag zu unterbreiten, der auf der Abschaffung der Tierversuche beruht."

Quellen:
EBI Stop Vivisection: http://www.stopvivisection.eu/
Antwort der EU-Kommission: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5094_de.htm
Reaktion der EBI (auf Spanisch): https://www.facebook.com/StopVivisection/photos/a.308683879227061.68358.306931496068966/808549385907172
Grüne Forderungen zur Reform der Europäische Bürgerinitiative: http://www.sven-giegold.de/2015/drei-jahre-europaeische-buergerinitiative-weniger-huerden-mehr-wirkung/
http://www.sven-giegold.de/2015/komission-ignoriert-million-unterschriften-gegen-tierversuche/