Wissenschaftler der Fachrichtung Pharmazie der Saar-Universität und des Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) haben ein Drug-Delivery-System entwickelt, das aussieht wie ein Maiskolben. Dahinter steht die Strategie, die Schleimhautbarriere zu überwinden.


Biologische Barrieren wie z. B. die Schleimhäute der Lunge erschweren es, dass die Arzneimittel dort ankommen, wo sie eigentlich wirken sollen. Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) am Saarbrücker Campus um Prof. Claus-Michael Lehr und Juniorprofessor Dr. Marc Schneider, FG Pharmazeutische Nanotechnologie, haben unlängst in Untersuchungen festgestellt, dass Nanopartikel wie an den Gitterstäben eines Käfigs an steifen, dicken Gelstäben des Lungenschleims hängen bleiben. Die Forscher befassen sich außerdem mit der Entwicklung von Drug-Delivery-Systemen und haben eine Wirkstofffähre entwickelt, die diese biologische Barriere austricksen soll.

In diesem Fall handelt sich um zylinder- bzw. röhrenförmige Nanostäbchen. Die Röhre ist 10 Mikrometer lang, die im Bild dargestellten Kügelchen sind 800 Nanometer im Durchmesser. Die Partikel sehen aus wie Maiskörner an einem Kolben. Auf diese Art Kugeln sollen später Wirkstoffe aufgebracht werden.


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Foto: Marc Schneider/Universität des Saarlandes


Die Fähre besteht derzeit aus Silica-Partikeln, soll jedoch später durch biologisch abbaubares Material ersetzt werden. Der Mechanismus besteht darin, dass die Stäbchen nach Inhalation zunächst auf das Respirationsepithel gelangen, von dort aus aber nicht ohne Weiteres weiterkommen. Hier sind die meisten Alveolar-Makrophagen der Lunge, beheimatet. Alveolar-Makrophagen sind Fresszellen des Immunsystems, die in den Lungenbläschen (Alveolen) vielerlei Funktionen erfüllen, zum Beispiel die Reinigung der Lunge, indem sie sich Fremdpartikel wie Staub oder Erreger einverleiben. Sie sind aber auch an Entzündungs- und Überempfindlichkeitsreaktionen beteiligt. Am Beispiel von Asbest wird das deutlich: da Asbest kein Krankheitserreger ist und durch die Immunreaktion nicht beseitigt werden kann, kann es zu einem dauerhaften Entzündungszustand kommen. Eine Dauerablagerung in den Makrophagen kann auch zur Bildung von Granulomen führen, es kann zu einer Lungenfibrose oder zu Lungenkrebs kommen.

Die Alveolar-Makrophagen phagocytieren die an den Lungenepithelzellen befindlichen stäbchen-förmigen Fähren, können sie aber nicht auflösen, sondern nur in sich aufnehmen und damit weiter wandern an andere Stellen des Alveolarbereichs bzw. der Lunge, weil es sich um eine anorganische Siliziumverbindung handelt. Der Aufnahmevorgang selbst ist verlangsamt und dauert bis zu drei Stunden. In der Zwischenzeit – so die Planung - soll die Fähre jedoch ihre Fracht, den Wirkstoff, abgegeben haben, der selbst nun seinen Weg durch das Labyrinth von Schleim und Gelstäbchen nimmt, bis er am Wirkort ankommt. Die Nano-Fähre wird nicht mehr gebraucht und kann vom Makrophagen aufgelöst werden. Dafür ist geplant, einen neuen Fährentyp aus einem Zucker oder z. B. Alginaten herzustellen.

„Mit der Form des Stäbchens werden zwei Ziele verfolgt“, so Prof. Marc Schneider, „denn einerseits können die Stäbchenform in tiefere Lungenschichten vordringen, andererseits dient die Anordnung der kleinen Kugeln der Oberflächenvergrößerung, wodurch sich mehr Arzneimitel transportieren lässt“. Für ihre Untersuchungen verwenden die Forscher Zellkulturmodelle aus menschlichen Lungenzelltypen, die in der Lage sind, die Lungenbarrieren darzustellen.

Die Forscher haben für die rasterelektronenmikroskopische Darstellung Ihrer Entwicklung vor kurzem den zweiten Preis im bundesweiten Fotowettbewerb "Nano-Momente 2012“ erhalten.

Weitere Informationen: http://www.uni-saarland.de/