Donnerstag, 15 Dezember 2016 09:12

Wissenschaftlicher Kongress der Europäischen Kommission: Non-Animal Approaches – the Way forward Empfehlung

Anlässlich der Bürgerinitiative Stop Vivisection fand vom 6. bis zum 7. Dezember in Brüssel ein wissenschaftlicher Kongress zum derzeitigen Entwicklungsstand der tierversuchsfreien Verfahren statt. Neben den Stärken und Schwächen der neuen humanspezifischen Methoden ging es auch um die fehlende Reproduzierbarkeit von Tierversuchsergebnissen und um die fehlende Transparenz und Schwächen bei der Publikation von Ergebnissen.

Insgesamt wurde die Bürgerinitiative begrüßt. Sie dient der Bestätigung der Notwendigkeit, die Strategie (1) zu remodulieren, so Dr. Susanna Louhimies von der DG Environment der EU-Kommission. Das letztliche Ziel der EU-Tierversuchsrichtlinie zu erreichen, den Tierversuch zu beenden, sei ein großer Schritt und in Artikel 4 und 13 der Richtlinie eingebettet. Sowohl Tierversuche als auch tierfreie Verfahren hätten ihren Nutzen, aber eben auch ihre Beschränkungen. Die Umsetzung der Richtlinie von 25 Mitgliedsländern sei inzwischen überprüft worden, drei befänden sich in der Endphase.  In einem Fall wurde ein formales Rechtsverletzungsverfahren eingeleitet.





Erste Kongresssitzung zum Thema „Tierversuche heute“. Von links nach rechts: Prof. Malcolm MacLeod, Dr. Jarrod Bailey,  Prof. Andrew Knight, Prof. Georg Kollias, Moderatorin Aminda Leigh, Dr. Roger Le Grand, Dr. Elliott Lilley und Dr. Richard Frackowiak
Foto: Christiane Hohensee





Dr. Susanna Louhimies von der DG Environment der Europäischen Kommission.
Foto: Christiane Hohensee
 

Dr. Ruxandra Draghia-Akli von der DG Research der Europäischen Kommission berichtete, zwischen 2006 und 2016 seien es rund 400 Mio. Euro für 100 Forschungsprojekte zur Verfügung gestellt worden. Das aktuelle Programm Horizon2020 stellt 82 Mio. Euro für 14 Projekte bereit. In den Projektcluster Innovative Medicines initiative (imi) flössen noch einmal 5 Mrd. Euro; die EU finanziere dabei die Hälfte, die anderen 50% würden von der efpia (European Federation of Pharmaceutical Industries and Associates aufgebracht. imi trägt zur Umsetzung der 3R-Prinzipien und nicht ausschließlich zur Entwicklung von Ersatzverfahren zum Tierversuch bei, d.h. es fördert auch die Entwicklung von Tiermodellen. Im Rahmen von imi ist das Projekt eTox (integrating bioinformatics and chemoinformatics approaches for the development of expert systems allowing the in silico prediction of toxicities) realisiert worden. Die entwickelten Tools tragen zur Reduzierung von Tierversuchen in der medizinischen Forschung bei. Im aktuellen VAC2VAC-Projekt werden tiernutzungsfreie Ansätze für humane und veterinärmedizinische Impfstoffe entwickelt. In dieses Projekt hat die EU 16 Mio. Euro investiert. Daneben ist das jährliche Budget der europäischen Validierungsbehörde ECVAM mit 6,5 Mio. pro Jahr eher bescheiden.

Am Ende des Kongresses teilte der Direktor des Departments Environment der Europäischen Kommisssion, Daniel Crespo, mit, dass das EU-Parlament noch einmal empfohlen hat, 1 Mio. Euro zusätzlich für die Entwicklung von Alternativen zum Tierversuch zur Verfügung zu stellen.

 



Generaldirektor der Departments Environment der Europäischen Kommisssion, Daniel Crespo, kündigt eine Mio. Euro zusätzlich für Alternativen zum Tierversuch an.
Foto: Christiane Hohensee


Kritik kam u.a. von Prof. Malcom MacLeod von der University of Edinburgh und Prof. Andrew Knight von der University of Winchester. Durch schlechte Methodik gäbe es eine geringe Vorhersagekraft von Tierversuchen und häufig keine Reproduzierbarkeit der Tierversuchsergebnisse. Diverse Forscher war sich einig, dass der Weg zur Verbesserung der Forschungsergebnisse über die Verbesserung der Methodologie erfolgt. Dafür jedoch bräuchte man aber den Zugang zu allen Daten, auch zu den nicht publizierten.

Lösungen zur Verbesserung des experimentellen Designs wurden von Dr. Vicky Robinson von NC3R vorgestellt. Die Standards der ARRIVE Guidelines würden mittlerweile von rund 1.000 wissenschaftlichen Zeitschriften übernommen, u.a. von Altex, Plos One, Cell, Nature u.a. (2). Die Guidelines helfen dabei, Berichte und Publikationen von Tierversuchsergebnissen zu verbessern, vor allem hinsichtlich des Studiendesigns. Der Experimental Design Assistant (EDA) ist ein online-Tool, das den Forscher durch das Design seiner Experimente führt um sicherzustellen, dass er am Ende ein Minimun an Tieren verwendet (denn nutzlose Experimente bedeuten eine Wiederholung der Versuche und damit eine Verdopplung der Tierzahlen (3)).  Für den Reviewer einer beim Verlag eingegangenen Publikation ist die Website IICARUS gestaltet worden, mit der überprüfen kann, ob die ARRIVE Guidelines eingehalten worden sind (4). 3.000 Nutzer sollen sich hier bereits registriert haben.

Prof. Thomas Hartung von der Johns Hopkins Universität in Baltimore forderte, dass der auf Evidenz basierende Ansatz zur Beurteilung klinischer Forschung auch auf Tierversuchsergebnisse angewandt werden müsse, denn diese würden überschätzt. Daher sollten besser humane Chiptechnologien und in-silico-Verfahren genutzt werden. Vergleichbar dem Top down-Ansatz des amerikanischen National Instituts of Health und der Food and Drug Administration bräuchte Europa ein European Safety Science Institut.

Die Strategie eines Top down-Ansatzes empfahl auch Dr. Warren Casey vom amerikanischen National Toxicology Program des Departments of Health and Human Sciences, der außerdem Executive Director der amerikanischen Validierungsbehörde ICCVAM ist. Die Strategien zur Entwicklung von Methoden zur Beendigung von Tierversuchen sollten von den regulierenden Behörden vorgegeben werden, unter Berücksichtigung des Inputs der beteiligten Stakeholder. Er informierte über einen Entwicklungsplan zur Umsetzung der Konzeption Toxicology in the 21st Century, kurz Tox21c.



Von links nach rechts: Dr. Maurice Whelan, Leiter von ECVAM, Dr. Warren Casey vom National toxicology Programm (NTP) und Leiter von ICCVAM, Dr. Robert Kavlock von der amerikanischen Environmental Protection Agency (EPA), Jan-Willem van der Laan (EMA) sowie Moderatorin Aminda Leigh.

Foto: Christiane Hohensee

Prof. Jan Hengstler von Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) stellte am Beispiel primärer humaner Hepatozyten vor, wie bildgebende Verfahren in Form von multi-Photonen-Bildgebung oder 2-Photonen-Bildgebung den Aussagewert der funktionalen Studien in der Petrischale erhöhen können. Allerdings hätten die kleinen Leberorganoide, wie die Miniorgane genannt werden, noch keine Mikrogefäße, das Immunsystem ist noch nicht integriert und aufgrund begrenzter Lebensdauer sind die Modelle für Langzeitstudien noch nicht geeignet.



Dr. Reyk Horland von TissUse im Gespräch mit Moderator Rick Thompson.
Foto: Christiane Hohensee


Dr. Reyk Horland
von TissUse stellte den derzeitigen Stand der Entwicklung des Human-on-a-Chip vor. Der bekannte 4-Organ-Chip werde inzwischen für die Entwicklung komplizierter Krankheitsmodelle genutzt. Er wird auch im Projektcluster EUToxRisk zum Einsatz kommen. In Kürze wird ein neuer Chip-Prototyp vorgestellt werden. Die Validierungsstudie mit den 10 wichtigsten Organen des Menschen im Miniformat wird voraussichtlich planmäßig 2017 beginnen. Dann wird u.a. auch das erwartete Immunsystem in das simulierte Minisystem integriert worden sein.



Anlässlich einer kleinen Jubiläumsfeier zum 25-jährigen Bestehen der europäischen Validierungsbehörde ECVAM informierte Dr. Maurice Whelan über Stationen ihrer Leistung von den Anfängen bis heute. Beim Springer-Verlag hat ECVAM aktuell ein Buch herausgebracht (5). Es heisst „Validation of Alternative Methods for Toxicity Testing.
Foto: Christiane Hohensee


An Anlehnung an das Kosmetikvermarktungsverbot, einen festen Termin zu setzen, ab dem Tierversuche in bestimmten Bereichen verboten werden, um so die Entwicklung von Verfahren „anzukurbeln“, wird nur von Tierrechtsorganisationen begrüßt. Deadlines seien nicht die Lösung, so Dr. Gianni Dal Negro von der European Partnership for Alternative Approaches to Animal Testing (EPAA). Man habe viel investiert, habe jedoch einfach noch nicht die Möglichkeit, die komplexe Funktionalität des vollständigen menschlichen Organismus zu simulieren.

Trotz Bedenken bei der Übertragbarkeit von Tierversuchsergebnissen könnten Tierversuche bedingt durch fehlende Ersatzverfahren und wegen der Kompliziertheit und Vielschichtigkeit des menschlichen Organismus derzeit noch nicht umfassend durch andere Methoden ersetzt werden, trugen Prof. Georg Kollias von der University of Athens, Dr. Roger Le Grand vom französischen Kommissariat für Atomenergie und Energiealternativen und Dr. Stefan Platz, Leiter der Arzneimittelsicherheit bei AstraZeneca vor.




Prof. Georg Kollias begründet die Notwendigkeit von Tierversuchen u.a. mit der Vielschichtigkeit der Signaltransduktionswege. Auch er übte umfassende Kritik am Versuchsdesign von Tierversuchsstudien.
Foto: Christiane Hohensee


In Publikationen würden nur die „guten“ Ergebnisse publiziert. Der überwiegende Prozentteil der Forschung werde überhaupt nicht publiziert. Das führe zu einer Überbewertung eines Zufallsergebnisses (genannt Publikationsbias), auf das die Folgeforschung aufbaut. Er plädierte dafür, anstelle der Tierversuche gut ausgearbeitete Humanstudien durchzuführen und den wissenschaftlichen Nachwuchs entsprechend auszubilden. Die Journale selbst beeinflussen die Wissenschaftsszene durch ihre einseitige Forderung nach Tierversuchsergebnissen, berichtet Prof. Thomas Korff von der Universität Heidelberg.   


(1) http://ec.europa.eu/environment/chemicals/lab_animals/pdf/vivisection/de.pdf
(2) Vollständige Liste der Journals, die die Standards der AARIVE guidelines übernommen haben, unter: www.nc3r.org.uk/arrivejournals.com.org.uk
(3) Experimental Design Assistant (EDA): https://www.nc3rs.org.uk/experimental-design-assistant-eda
(4) https://ecrf1.clinicaltrials.ed.ac.uk/iicarus/
(5) Eskes, C. & Whelan, M. (eds.): Validation of Alternative Methods for Toxicity Testing. Springer Verlag 2016.

Weitere Informationen zur Citizens Initiative:
http://www.invitrojobs.com/index.php/de/neuigkeiten/news-archiv/item/979-debatte-zu-tierversuchen-im-eu-parlament
http://www.invitrojobs.com/index.php/de/neuigkeiten/news-archiv/item/1092-eu-kommission-haelt-die-abschaffung-von-tierversuchen-fuer-verfrueht
http://www.invitrojobs.com/index.php/de/neuigkeiten/news-archiv/item/2009-ecvam-start-einer-eu-umfrage-ueber-ersatzverfahren-zum-tierversuch