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Samstag, 26 September 2015 22:59

Neues vom Linz-Kongress zu Tierversuchsalternativen Empfehlung

Vom 20. bis zum 24. September fand zum 19. Male der europäische Kongress für Alternativen zum Tierversuch statt. In den bewährten Räumen der Johannes-Keppler-Universität in Linz stellte eine große Zahl an renommierten Forschern und Forschinnen ihre aktuellen Ergebnisse vor. Der Andrang von Nachwuchsforschern für eine Teilnahme war so groß wie nie zuvor.

Neben der Fortentwicklung von Chipplattformen und in-vitro-Krankheitsmodellen war das Thema Refinement eines der Schwerpunkte auf dem diesjährigen Kongress.

In seiner Eröffnungsrede berichtete Prof. Horst Spielmann daran, dass der Linz-Kongress ursprünglich 1991 als mitteleuropäische Gesellschaft für Tierschutzorganisationen als Pendant zum Weltkongress zu Tierversuchsalternativen gegründet worden sei, um das Thema Tierschutz zu diskutieren, das damals im Weltkongress nicht vertreten war. Erst im Laufe der Jahre sei der Linz-Kongress in EUSAAT-Kongress umbenannt worden und professionalisierte sich dann immer stärker.




Horst Spielmann während der Eröffnungsrede.
Foto:CH

Dr. Susanna Louhimies berichtete über die Erfolge und die Herausforderungen bei der Umsetzung der EU-Direktive 63/2010. Es sei ein Rechtsrahmenwerk geschaffen worden und 27 von 28 Mitgliedstaaten hätten dafür gestimmt. 28 Mitgliedstaaten unter einen Hut zu bringen, ein einheitliches Verständnis zu schaffen, sei eine echte Herausforderung und nicht schnell zu realisieren. Aber man habe gelernt, zusammenzuarbeiten. Es sei gelungen, mehr Regeln und Verpflichtungen zu schaffen, die eine Grundlage für Gesetzgebungen bilden. Die 3R-Kriterien seien rechtsbindend. Die Fähigkeiten der Mitarbeiter, die mit Tierversuchen befasst sind, müssten nun sichergestellt werden. Die Fortsetzung dieser europäischen Zusammenarbeit erfolgt zukünftig auf freiwilliger Basis über die Plattform ETPLAS. Die Plattform befindet sich gerade in der Entwicklung.

EUSAAT (European Society for Alternatives to Animal Testing) als Organisator des Kongresses und die Japanese Society for Alternatives to Animal Testing (JSAAE) unterzeichneten eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit beider Organisationen. Die Gesellschaft mit Sitz in Tokyo ist eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern, die sich der Förderung der Forschung, Entwicklung, Ausbildung und öffentlicher Bekanntmachung von Alternativen zum Tierversuch und dem 3R-Prinzipien widmet.



Prof. Horst Spielmann, Generalsekretär von EUSAAT und Dr. Hajime Kojima, President of the Japanese Society for Alternatives to Animal Experiments (National Institute of Health Sciences) bei der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung.
Foto: Christiane Hohensee.


Die JSAAE finanziert bedeutende Forschungsaktivitäten, jährlich stattfindende Meetings und internationale Konferenzen. Ziel ist zudem die internationale Akzeptanz der 3R (replace, reduce, refine of animal experiments) als Leitprinzipien während des Einsatzes von Tieren in Sicherheitstests.

Viele Beiträge befassten sich mit Fragestellungen der Organ-on-a-Chip bzw. Human-on-a-chip-Technologie. Dr. Dmitry Sakharov vom Moskauer Unternehmen Bioclinicum stellte eine Bioreaktor-Plattform "Homunculus" mit mittlerweile sechs miteinander verbundenen Organoiden auf einem Mikrochip vor.

Dr. Dmitry Sakharov von Bioclinicum.
Foto: Christiane Hohensee

Neben den Mikrochip-Entwicklungen war ein Schwerpunkt des Kongresses die Entwicklung sogenannter humaner Krankheitsmodelle. Dr. Jens Kelm von der InSphero AG z.B. stellte Ergebnisse vor, bei denen humane Lebersphäroide mit Tumormikrogewebe kultiviert worden waren. Nach einiger Zeit in Ko-Kultur wurden die Gewebe mit Cyclophosphamid behandelt, das erwarteter Maßen von der Mikroleber in die aktiv wirksame Form 4-Hydroxycyclo-phosphamid-Aldophosphamid umgewandelt wurde. Somit konnte gezeigt werden, dass die konzipierte Mikroleber vergleichbar einer realen Leber in der Lage ist, Prodrugs wie z.B. Zytostatika mit Hilfe der zelleigenen Cyp-Enzyme zu aktivieren.



Dr. Jens Kelm von der InSphero AG.
Foto: Christiane Hohensee


Dr. James Adjaye vom Universitätsklinikum Düsseldorf stellte ein Modell zur Erforschung der nicht-alkoholischen Fettleber vor. Dafür wurden iPS-Zellen von Patienten konstruiert, in Leberzellen umgewandelt und mit Fetten inkubiert. Hiernach wurde die Expression eines Gens mit dem Namen PLIN2 (Perilipin2) untersucht. Das Protein hat eine wichtige Funktion bei der Ausbildung von Fettzellen. Der Wissenschaftler konnte zeigen, dass beim Ausschalten des Proteins in den Zellen es zu einer Fett- und Cholesterolstoffwechselveränderung kommt. Untersuchungen an genetisch veränderten Zellen ergaben, dass der Fettstoffwechsel von mehreren Signaltransduktionswegen beeinflusst wird.

Mit der Untersuchung von Mechanismen bei Leberverletzungen befasste sich die belgische Forschergruppe um Prof. Vera Rogiers von VITO in Belgien. Für die Untersuchungen wurde Lebergewebe aus Hautzellen differenziert. Das Modell hat wichtige Eigenschaften einer Humanleber und soll zur Untersuchung eines akuten Leberschadens (am Beispiel des Mechanismus von Acetaminophen), von Mechanismen einer Fettlebererkrankung (Steatose) und der Ansammlung von Phospholipiden im Gewebe (Phospholipidose) genutzt werden können.

Mit einem anderen, wichtigen Krankheitsmodell befasste sich ein Forscherteam um Dr. Susanna Narkilahti von der Universität Tampere in Finnland. Es entwickelten mehrere in vitro-Nervenzellmodelle in der Petrischale. Dafür generierten sie zunächst pluripotente Stammzellen von Patientenzellen, die sie dann in Nervenzellen umwandelten. In einem Modell ließen die Forscher die Zellen auf Mikroelektroden-Plattformen wachsen, mit denen sie die Funktionalität des neuronalen Netzwerkes während der Kultivierung untersuchen konnten. Vorgestellt wurde ferner ein Epilepsie-Modell und ein Myelinisierungs-Modell. Der Myelinierungsprozess einer sich entwickelnden Nervenzelle erfolgt auf der Basis sogenannter Gliazellen, wodurch die Nervenzelle stark elektrisch isoliert und eine schnellere Erregungsweiterleitung ermöglicht wird).

Dr. Francesca Pistollato vom Physicians Committee for Responsible Medicine in Washington übte Kritik an den Alzheimer-Tiermodellen. 99,6 % der
entwickelten Tiermodelle funktionierten nicht, denn Tiermodelle zeigten lediglich einzelne Alzheimer-Krankheitsphänomene, nicht jedoch die
ganz Krankheit. Daher würden Pharmaentwickler auf dem Gebiet auch immer weniger entwickeln. Die im Tier induzierten Alzheimer-ähnlichen
Krankheiten seien auch nur für 1-5 % der Fälle der in der Bevölkerung vorkommenden Alzheimererkrankungen repräsentativ. Faktoren wie Fehlernährung, Bewegungsmangel, geringe Bildung, Rauchen, Luftverschmutzung, Adipositas und das metabolische Syndrom z.B. blieben
unberücksichtigt. Als Beispiel für diese Einflüsse führte sie an, dass sich die Alzheimerzahlen in Westeuropa durch eine Veränderung des
Lebensstils verändern würden. Sie plädierte für eine Umsetzung der humanspezifischen Ansätze aus der Konzeption "Toxicology in the 21th Century", des AOP-Konzepts, die Nutzung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen, von dreidimensionellen Zellkulturen und Chipmodelle.
Beim AOP-Konzept wird eine sequenzielle Serie von Ereignissen betrachtet, die auf vielen Ebenen der biologischen Organisation wirken können. Ausgangsereignis ist ein Fremdstoffmolekül, das an eine Oberflächenstruktur einer Zelle andockt. Hierdurch kommt es zu einer Vielzahl an Interaktionen in der Zelle, die z.B. durch die Produktion einer Proteins, einer Bewegung oder ihrer Schädigung auf das Ereignis antwortet. Das Ausgangsereignis kann nicht nur auf die einzelne Zelle, sondern auch auf den Zellverband, das Organ, den gesamten Organismus oder eine Population Auswirkung haben, je nach Stärke des Ereignisses.

Dr. Tilman Gocht vom Projektcluster Seurat informierte über den gegenwärtigen Stand. In Seurat kommen 70 Forschungsgruppen in 6 Projekten
zusammen. Seurat wird mit je 25 Millionen in gleichen Teilen von der EU und der Industrie finanziert. Zielsetzung ist die Entwicklung innovativer Tools und Methoden, wobei nicht nur Machbarkeitsstudien durchgeführt werden sollen, sondern auch die breite Anwendung durch Aufnahme in die Regularien erzielt werden soll. Das Seurat-Projekt Cosmos z.B. hat eine Datenbank über kosmetische Bestandteile und deren Eigenschaften entwickelt, der Zugang ist online möglich.

Dr. Tzutzuy Ramirez von BASF erläuterte, dass Metabolomics-Analysen Ergebnisse aus in-vitro-Versuchen gut ergänzen könnten. Man erhalte
dadurch ein besseres verständnis über biochemische Veränderungen.

Dr. Susanne Giersiefer vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf berichtete über Speziesunterschiede bei Ratte und Mensch in der Empfindlichkeit gegenüber Chemikalien und deren Einfluss auf Schilddrüsenhormone, ein wichtiges Hormon, das bei der Beurteilung der Entwicklungsneurotoxikologie eine Rolle spielt.

 

Dr. Susanne Giersiefer vom Leibniz-Institut für umsweltmedizinische Forschung (IUF) präsentiert ihre Ergebnisse.
Foto: Christiane Hohensee


Dr. Samuel Constant
von Epithelix stellte ein in-vitro-Lungenkrebsmodell vor. Hiermit ließen sich potenzielle Medikamente testen. humane Bronchialzellen wurden hier mit Zellen vermischt, bei denen ein bestimmter Signaltransduktionsweg mutiert war. Bei 20-25 % aller Lungenkrebsfälle soll dieser Signalweg mutiert sein, wodurch ein anderer Signalweg in den Zellen nicht reguliert werden könne, der zu Zellteilung führt. Die Behandlung der Kulturen mit bekannten Krebstherapeutika ließ diese permanente Zellteilung zum Stillstand bringen.

Patrick Hayden von MatTek stellte ein in-vitro-Asthma-Modell vor. Asthma kann in bestimmten Fällen im Patienten durch Erkältungsviren ausgelöst werden. Im Maus-Asthmamodell kann dieser Vorgang nicht ausgelöst werden, weil die Maus auf humane Pathogene nicht reagiere. Für die Modelle wurden Zellen von Asthmatikern, zusätzlich solche von Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung kultiviert und diese mit Rhinoviren infiziert. Die in-vitro-Modelle zeigten vielversprechende Ergebnisse und seien geeignet, um neue Arzneimittel zu testen.

Hier konnte nur ein Ausschnitt aus den vielen Vorträgen vorgestellt werden. Weitere Informationen sind dem Abstract-Book EUSAAT 2015 zu entnehmen (siehe Link).

Links:
http://www.etplas.eu/index.php?id=4325
http://www.asas.or.jp/jsaae_old/e_aboutjsaae.html
http://flexikon.doccheck.com/de/Cyclophosphamid
http://eusaat-congress.eu/images/2015/Abstractbook_EUSAAT_2015_Linz_2015_low_res.pdf