Dienstag, 24 Mai 2011 07:40

AG im Portrait Experimentelle Zell- und Gewebetechnologie

InVitroJobs stellt ab sofort regelmäßig Wissenschaftler und ihre innovativen Forschungen als „Arbeitsgruppe im Portrait“ vor. Im Fokus stehen neu entwickelte Methoden, ihre Evaluation sowie der Ausblick, welche tierexperimentellen Versuchsansätze gemäß dem 3R-Prinzip (reduce, refine, replace) nach Möglichkeit reduziert und bestenfalls ersetzt werden können. Die Serie wird weitergeführt mit der Forschungsgruppe  „Experimentelle Zell- und Gewebetechnologie“ innerhalb der Arbeitsgruppe Molekulare Hämostaseologie am Universitätsklinikum Jena. Der Vorstellung der Forschungsgruppe folgt ein Interview mit Dr. rer. nat. Sandy Mosig.


Die Arbeitsgruppe Molekulare Hämostaseologie* ist eine selbständige Einrichtung des Universitätsklinikums Jena. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Atherosklerose und damit assoziierte Krankheiten wie Schlaganfall oder Herzinfarkt. Rund 50 Prozent aller krankheitsbedingten Todesfälle in westlichen Gesellschaften sind auf Atherosklerose zurück zu führen.

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Von links nach rechts: Elisabeth Weiß (Praktikantin), Dr. Sandy Mosig (Forschungsgruppenleiter), Privatdozent Harald Funke (Arbeitsgruppenleiter), Dr. Knut Rennert, Maria Franke, Silke Nossmann und Margot Voigt (alle drei Technische Angestellte).
Foto: Rainer Spanbroeck.



Innerhalb der Arbeitsgruppe hat sich die Forschergruppe „Experimentelle Zell- und Gewebe-technologie“ gebildet, die wir an dieser Stelle vorstellen wollen. Die Forschergruppe entwickelt alternative Untersuchungsmethoden, die einen möglichst kompletten Ersatz von Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung erlauben sollen. Sie befasst sich dabei seit mehreren Jahren mit der Erzeugung künstlicher humaner Blutgefäßgewebe. Durch die Anwendung moderner Technologien der Gewebezucht (Tissue Engineering) wird das Ziel verfolgt, die Situation im lebenden Organismus (in vivo) künstlich im Labor (in vitro) nachzubilden. Hierfür werden insbesondere neu entwickelte Konzepte der regenerativen Medizin zur Erzeugung und Nachbildung von humanen Organen (Organoiden) aufgegriffen. Die Entwicklung von Methoden zur lebensnahen in vitro-Abbildung und zum Tierversuchsersatz orientiert sich hierbei an den Prozessen der humanen Krankheitsentstehung (Pathogenese) und deren Therapie.

Die Forschergruppe besteht gegenwärtig aus drei medizinisch technischen Assistenten, einer Doktorandin und zwei promovierten Wissenschaftlern. Gegenwärtig werden drei besonders wichtige Projekte bearbeitet:


1. Erzeugung künstlicher humaner Blutgefäßgewebe als Gewebemodell zur Untersuchung der Pathogenese von Atherosklerose und Sepsis
Ethische Bedenken gegenüber Tierversuchen sind ein wichtiger Grund, warum die Forschergruppe Alternativen zu Tiermodellen entwickelt. Weiterhin sind Ergebnisse aus Tierversuchen aufgrund wichtiger physiologischer Unterschiede zwischen Tier und Mensch nur bedingt auf den Menschen übertragbar. Häufig sind Tierversuche mit der Tötung der Tiere und der Präparation der Organe verbunden. Diese Untersuchungen liefern jedoch nur eine Momentaufnahme des Pathogeneseverlaufs. Daher entwickeln die Wissenschaftler zusammen mit den Industriepartnern ALS GmbH (ehem. AVISO GmbH), Polymet e.V. und mit Unterstützung von Zeiss Microimaging GmbH ein dreidimensionales Flusskammersystem, mit dem mittels geeigneter optischer Methoden das Adhäsions- und Migrationsverhalten humaner Zellen in vitro und in Echtzeit beobachtet werden kann. Gleichzeitig sollen biologisch wichtige Umweltbedingungen kontrolliert gesteuert und das Reaktionsverhalten verschiedener Zellen des Blutgefäßsystems studiert werden. Das Projekt wird durch das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie mit Landes- und EU-Mitteln gefördert.


2. Entwicklung eines hepatischen Gewebemodells zur Untersuchung des Infektionsablaufs humanpathogener Erreger am Beispiel von Francisella tularensis (Hasenpest)
In Zusammenarbeit mit Dr. Alejandro Soto-Gutierrez von der Universität Pittsburgh/USA und dem Institut für bakterielle Infektionen und Zoonosen (IBIZ) des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit (FLI) in Jena wurden erste künstliche Lebergewebe entwickelt und getestet, die als Infektions- und Pathogenesemodelle für Zoonose-Erreger, wie Francisella tularensis dienen sollen.

Bei Francisella tularensis handelt es sich um ein gram-negatives Bakterium und den Auslöser der Tularämie, einer häufig tödlich verlaufenden Krankheit bei Nagetieren, die auch auf den Menschen übertragen werden kann. Über die Infektionsmechanismen und den Krankheitsverlauf der Tularämie beim Menschen ist bisher wenig bekannt. Ebenso ist die Rolle dieses monozytär persistierenden Erregers bei der Vermittlung von Leberschäden nicht ausreichend untersucht worden. Bisherige Untersuchungsansätze zum Infektionsverhalten von Francisella basierten vor allem auf konventioneller Monozellkultur und dem Tiermodell. Die Entwicklung eines Infektionsmodells am Beispiel von Francisella-Stämmen soll ein besseres Verständnis der Infektionsmechanismen erlauben und einen Beitrag zur nachhaltigen Vermeidung von Tierversuchen in der Infektionsforschung leisten.


3. Entwicklung eines mikrofluidisch versorgten Multi-Organ-Systems zur Abbildung der metabolischen Wechselwirkungen zwischen Leber, Niere und Darm
Innerhalb des Forschungsprojekts sollen künstlich erzeugte humane Organnachbildungen der Leber in mikrofluidische Systeme integriert und diese als ein in vitro-Modell für die pharmakologische und toxikologische Testung von Wirksubstanzen etabliert werden. Neben Lebergewebe sollen weitere Organnachbildungen wie der Niere und des Darms eingebunden werden und auf diese Weise in grober Näherung die humane Stoffwechselsituation in vitro abgebildet werden. Viele, durch die Leber aktivierte Toxine wirken nicht primär toxisch auf das Lebergewebe, sondern entfalten ihre toxische Wirkung erst in den umliegenden Organen. Durch die Berücksichtigung von Multi-Organ-Wechselwirkungen sollen peripher toxische Substanzen in ihrer Wirkung auch bei in vitro-Tests erfassbar werden. Durch die Entwicklung solcher in vitro-Multi-Organ-Systeme soll dazu beigetragen werden, den Anteil der notwendigen Tierversuche in der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung zu senken.


Vielversprechendes Projekt bereits abgeschlossen: der "CellCelector"

Ein wichtiges und interessantes Projekt ist gerade abgeschlossen worden: die Weiterentwicklung des CellCelectors der Firma ALS GmbH. Es handelt sich um ein Gerät, das ursprünglich zur Einzelzell-Isolierung seltener Zellen, z. B. Stammzellen, genutzt wurde. Durch die Weiterentwicklung des CellCelectors können jetzt verschiedene Zelltypen aus Zellgemischen, wie Blut und Gewebe, durch fluoreszenzkonjugierte Antikörper markiert, mittels automatisierter Mikroskopie entdeckt und automatisiert durch ein Robotersystem geerntet werden. Der gesamte Vorgang findet dabei in einer vollständig klimatisierten und sterilen Einhausung statt. Damit können auch sehr empfindliche Zellen, wie z. B. Monozyten, schonend isoliert und für besonders sensitive Untersuchungen (z.B. die Einzelzell-PCR) genutzt werden.


Der Leiter der Forschungsgruppe, der Zellbiologe Dr. rer. nat. Sandy Mosig gab InVitroJobs ein Interview zu Situation und Perspektiven der Forschungsarbeiten.

Der junge Wissenschaftler Dr. rer. nat. Sandy Mosig promovierte an der Biologisch-Pharmazeutischen Fakultät Jena im Jahr 2007 und hat sich auf die Atherosklerose spezialisiert. In seiner Arbeit untersuchte er Genexpressionsprofile von Monozyten*  und T-Zellen* bei der Entwicklung der Atherosklerose in Patienten mit erblich bedingter Störung des Fettstoffwechsels (Familiäre Hypercholesterinämie).

Herr Dr. Mosig, wie muss man sich die Entzündungsreaktion vorstellen, die eine  Plaquedestabilisierung auslöst und letztlich zu einer Atherosklerose führen kann?

Dr. Sandy Mosig:
Durch erhöhte Ablagerung von Blutfetten an der Gefäßwand kommt es zu lokalen Entzündungsreaktionen am Blutgefäßgewebe. Hierdurch kommt es zum Einwandern von Immunzellen aus dem Blutstrom in das Gefäß. Monozyten, eine Vorform von im Blut zirkulierenden Makrophagen, nehmen hier die modifizierten Blutfette auf. Bei hohen Mengen an Fettablagerungen im Blutgefäß können dabei fettreiche Zellen entstehen, die auch Schaumzellen genannt werden, da die darin enthaltenen Fetttröpfchen bei der Betrachtung unter dem Mikroskop an Schaum erinnern. Im weiteren Verlauf der Krankheit können diese Zellen untergehen und es kommt zu einer verstärkten Entzündungsreaktion und der Bildung einer atherosklerotischen Plaque, die aus abgestorbenen Zellen und modifizierten Fettablagerungen besteht. Bricht diese Plaque auf und gerät in den Blutstrom, bildet sich eine Thrombus, der zu einem akuten Gefäßverschluss und damit zur Minderversorgung des Herzens oder des Hirns mit Sauerstoff führt. Herzinfarkt bzw. Schlaganfall können die Folgen dieses Gefäßverschlusses sein.


Welche Bedeutung spielen Monozyten/Makrophagen? Welche derzeitigen Erkenntnisse gibt es über die Rolle der verschiedenen Monozytensubpopulationen bei der Entstehung der Atherosklerose?

Dr. Sandy Mosig:
Die Folgeerkrankungen, wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, sind für ca. 50 Prozent aller Todesfälle in westlichen Gesellschaften verantwortlich. Bei der Entstehung der Atherosklerose spielen durch Monozyten vermittelte Entzündungsprozesse eine wesentliche Rolle. Aktuelle Hypothesen zur Entstehung dieser Erkrankungen gehen davon aus, dass modifizierte Lipoproteinpartikel (modifizierte low density lipoproteins, mLDL) hierbei am Anfang der Inflammationskaskade stehen, nachdem sie sich in der Extrazellulären Matrix (EZM)* zwischen Intima* und Media* des Blutgefäßes angereichert haben. Innerhalb der EZM erfolgen weitere Modifikationsprozesse durch eine Vielzahl verschiedener Enzyme und es kommt zu einer Aktivierung der Endothelzellen innerhalb des Blutgefäßes. Durch Expression entsprechender Oberflächenproteine auf den aktivierten Endothelzellen werden zunächst eine Rekrutierung von Monozyten aus der Blutbahn und eine anschließende Migration dieser Zellen in das Blutgefäßgewebe ermöglicht. Innerhalb der Gefäßwand differenzieren sie zu Makrophagen und nehmen angereicherte mLDL in großem Umfang auf. Auf diese Weise entstehen die für die Atherosklerose typischen großen Ansammlungen fettreicher Makrophagen (Schaumzellen) innerhalb des Gefäßes. Damit stehen Monozyten mit am Anfang des Krankheitsentstehens. Unsere Arbeitsgruppe befasst sich unter anderem mit der Funktion der einzelnen Monozyten-Subtypen bei der Entstehung der Atherosklerose. Unsere Arbeiten liefern Hinweise darauf, dass beide Sub-Populationen spezifische Funktionen hierbei haben könnten.


Wie viele Typen des 3D-Gewebemodells gibt es und für welches Einsatzgebiet sind sie vorgesehen?

Dr. Sandy Mosig:
Die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bestandteilen des Blutsystems und der Endothelzellschicht von Blutgefäßen sind bestimmende Faktoren bei der Pathogenese einer Vielzahl von Krankheiten. Durch komplexe Interaktion der einzelnen Bestandteile der Blutgefäße werden Adhäsions-, Transmigrations- und Differenzierungsprozesse der eingewanderten Leukozyten reguliert. Gegenwärtig verfügbare in vitro-Untersuchungsmodelle können die Situation in vivo nicht vollständig abbilden. Tiermodelle, vor allem das der Maus und der Ratte, sind daher nach wie vor der „Goldstandard“ bei der Untersuchung pathophysiologischer Prozesse im vaskulären System. Aufgrund zum Teil grundlegender Unterschiede zwischen der humanen Physiologie und der des jeweiligen Tiermodells ist die Übertragbarkeit der erhaltenen Ergebnisse häufig nur unzureichend.

Unser Ziel ist daher die Erzeugung von künstlich generierten humanen Blutgefäß-Geweben und deren Integration in perfundierbare Mikrokammersysteme. Um eine möglichst lebensnahe Funktionsabbildung humaner Blutgefäß-Gewebe zu erreichen, ist es notwendig, bei der Erzeugung künstlicher Gewebe deren dreidimensionalen Aufbau der in vivo-Situation entsprechend zu berücksichtigen. Durch die Erzeugung solcher heterogen aufgebauten komplexen Gewebestrukturen können verlässliche Pathogenese-Modelle hergestellt und in der pharmakologischen und toxikologischen Forschung über bestehende Methoden hinaus sinnvoll angewendet werden. Durch Nutzung Fluoreszenz-basierter Zellmarkierungsmethoden soll im Perfusionszustand das Adhäsions- und Transmigrationsverhalten von Immunzellen an bzw. in das Blutgefäß-Gewebe nachvollzogen werden. Die Nutzung der Mikrofluidik-Technik schafft die Basis für eine standardisierbare und kosteneffiziente Nutzung von Gewebemodellen in der Pathogeneseforschung. Aufgrund der geringen Größe der künstlichen Blutgefäß-Gewebe und den vergleichsweise geringen Volumina, die hierfür benötigt werden, können mit dieser Technik auch Substanzen getestet werden, die in der Herstellung sehr kostenintensiv sind. Ein funktionales in vitro-Pathogenesemodell der Arterienwand auf mikrofluidischer Basis für die vaskuläre Medizin stellt sowohl aus ethischer als auch aus wissenschaftlicher Sicht eine attraktive Alternative zu Tierversuchen dar.


Welche „komplexen Umweltsteuerungselemente“ werden hier zusätzlich simuliert, wie es auf Ihrer Homepage heißt? In welchem Entwicklungsstadium befinden sich Ihre Modelle gerade (Prävalidierung/Validierung)?

Dr. Sandy Mosig:
Es werden hier Steuerelemente zur Kontrolle von partiellem Sauerstoff und Kohlendioxid-Gehalt der Umgebungsluft entwickelt. Zusätzlich erfolgt eine Steuerung von Luftfeuchte und der Temperatur (im Nährmedium und der Umgebungsluft). Wir planen derzeit, die Gewebe standardisiert und reproduzierbar herzustellen und in das Flusskammersystem integrieren zu können.


Für welchen Einsatzbereich könnte das Flusskammersystem noch dienen?

Dr. Sandy Mosig:
Das Flusskammersystem soll ebenfalls als Pathogenesemodell in der Sepsisforschung genutzt werden. Die Sepsis stellt ein Krankheitsbild dar, in dem die Interaktion von Immunzellen mit dem Blutgefäß einen zentralen Aspekt in der Pathogenese einnimmt. Die Sepsis wird im Allgemeinen als ein klinisches Symptom verstanden, das auf eine überschießende systemische Immunantwort infolge einer bakteriellen Infektion zurückzuführen ist. Jährlich werden etwa 220 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern verzeichnet (1). Damit tritt die Sepsis vergleichbar häufig wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Mit einem Anteil von 54 Prozent an der Krankenhaus-Sterblichkeit stellt sie zudem die Haupttodesursache auf Intensivstationen dar und verursacht jährlich intensiv-medizinische Behandlungskosten von über 1,7 Milliarden Euro allein in Deutschland. Die klinischen Symptome der Sepsis werden nicht direkt durch den eindringenden Mikroorganismus verursacht, sondern vielmehr durch das Auftreten von Hypertonie*, Koagulopathie* und einer Multi-Organ-Dysfunktion* infolge einer Dysregulation von Entzündungsprozessen beim Patienten. Es gilt als gesichert, dass systemische Entzündungs-reaktionen infolge der Sepsis zu einer Aktivierung des Gerinnungssystems und gleichzeitig zu einer Inhibierung antikoagulativer Prozesse und der Fibrinolyse* führen. Obwohl Gerinnung und Fibrinablagerung essentielle Mechanismen der Wirtsantwort gegenüber mikrobiellen Infektionen darstellen, führt eine überschießende Antwort zu einer Situation, in der die Koagulation selbst zum Krankheitsgeschehen durch mikrovaskuläre Thrombose und multiple Organ-Dysfunktion beiträgt.

Eines der wichtigsten Kennzeichen der Sepsis ist die mikrovaskuläre Dysfunktion* aktivierter Endothelzellen. Bakterielle Zellwandkomponenten, wie beispielsweise Lipopolysaccharide (LPS), führen zur Aktivierung von "pattern recognition receptors" (PRR) auf der endothelialen Zelloberfläche und vermitteln die Adhäsion und Migration von Leukozyten. Hierdurch kommt es zur Freisetzung einer Vielzahl von Zytokinen*, Chemokinen* und Komponenten des Gerinnungssystems durch die eingewanderten Leukozyten. Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es zu komplexen und bisher nicht vollständig verstandenen Wechselwirkungen zwischen den Komponenten des Immunsystems (z. B. Granulozyten, Monozyten und T-Zellen) und des Blutgefäßes (Endothelzellen, glatte Muskelzellen und Bindegewebszellen). Als Folge dieser Wechselwirkungen kommt es unter anderem zum zytoplasmatischen Anschwellen und der Kontraktion endothelialer Zellen, einer Ablösung der Endothelzellschicht und dadurch zu einer Verstärkung der Entzündungsreaktionen infolge einer derart bedingten verstärkten Einwanderung von Thrombozyten und Leukozyten in das geschädigte Gefäß.
Über die Nutzung als Pathogenesemodell in der Atherosklerose- und Sepsisforschung hinaus ist die Anwendung künstlicher Blutgefäß-Gewebe auch in der pharmakologischen und toxikologischen Forschung denkbar und die Umsetzung angedacht. Hier stehen vor allem Anwendungen im Bereich der Substanztestung und -zulassung im Vordergrund.


Gibt es in Ihrer Arbeitsgruppe noch weitere Entwicklungen zum Ersatz von Tierversuchen?

Dr. Sandy Mosig:
Weitere Projekte hierzu sind in Planung.


Sie arbeiten mit Analytik Jena AG, ALS GmbH, Jenpolymers Ltd., Polymet e. V. und u. a. mit der Carl Zeiss MicroImaging GmbH zusammen. Waren die Unternehmen leicht für Ihre Innovation zu begeistern?

Dr. Sandy Mosig:
Alle Kooperationspartner zeigten ein hohes Interesse an der Entwicklung tierversuchsfreier Untersuchungsmethoden für die medizinische Forschung. Unsere Erfahrungen in der Zusammenarbeit sind durchweg positiv.


Werden Sie für Ihre Projektarbeiten ausreichend unterstützt? Wie ist die Situation auf dem „Forschungsgelder-Markt“.

Dr. Sandy Mosig:
Die Situation auf dem „Forschungsgelder-Markt“ ist wie in vielen anderen Forschungsbereichen auch hoch kompetitiv. Eine besondere Unterstützung bei der Entwicklung unserer Projekte haben wir durch das Land Thüringen und das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie erfahren.


Wie ist die Lage hinsichtlich junger Studenten/Absolventen: Sind die interessiert an Ersatzverfahren? Wie sind die Ausbildungsvoraus-setzungen der Absolventen/Jungwissenschaftler: Muss mehr für die Lehre im Bereich der Ersatzverfahren getan werden?

Dr. Sandy Mosig:
Das Interesse an alternativen Methoden zum Tierversuch ist bei Studenten unserer Erfahrung nach hoch. Gleichwohl müsste unserer Meinung nach der Grundgedanke solcher Entwicklungen noch stärker in die Lehre hereingetragen werden. Gemeinsam mit Prof. Dr. Stefan Lorkowski vom Institut für Ernährungswissenschaften der Friedrich Schiller Universität Jena wollen wir entsprechende Angebote an die Studenten vorbereiten.

Wir danken für dieses Gespräch.



Übersicht der im Bereich der tierversuchsfreien Forschung relevanten Kooperationen

Industrie
Analytik Jena AG
microfluidic ChipShop GmbH
Jenpolymer Ltd. & Co KG
arthrospec GmbH
Automated Lab Solutions ALS GmbH
GoBio Projekt „Intelligente siRNA für die therapeutische Anwendung“ (Ausgründung erfolgt als Biano Science GmbH aus der FSU Jena in 2011)
Forschungszentrum für Medizintechnik und Biotechnologie, Abteilung Bioinstrumente und Geräteentwicklung GmbH

Akademische Partner
Friedrich Loeffler Bundesinstitut für bakterielle Infektionen und Zoonosen, Prof. Neubauer
Technische Universität Ilmenau, Fachgebiet Biomechatronik, Prof. Witte
Institut für Ernährungswissenschaften, Arbeitsgruppe Biochemie der Ernährung, Prof. Stefan Lorkowski
Children´s Hospital of Pittsburgh, Center for Innovative Regenerative Therapies, University of Pittsburgh/USA, Dr. Alejandro Soto-Gurtierrez

Universitätsklinikum Jena
Institut für Pharmakologie und Toxikologie, PD Lupp
Universitätsfrauenklinik Jena, Arbeitsgruppe Molekulare Gynäkologie, Prof. Dürst




Glossar:

Molekulare Hämostaseologie
Lehre der Blutgerinnung und ihren möglichen Störungen, untersucht mit molekularbiologischen Methoden.

Monozyten
(Vorläuferzellen von Fresszellen (Makrophagen), die in das entsprechende Gewebe einwandern und dort z. B. Bakterien unschädlich machen und Lymphozyten aktivieren) (2).
Monozyten und Makrophagen verarbeiten in natürlichem Maße LDL, einen wichtigen Teil des Fettstoffwechsels. Ist dieses jedoch durch Acetylierung des Protein-Anteils modifiziert, kann dieses oxidierte LDL nicht mehr verarbeitet werden und häuft sich im Zell-Inneren an. Dadurch entartete Monozyten und Makrophagen nennt man Schaumzellen. Sie gelten im Zusammenhang mit verletzten Blutgefäßen als Hauptursache der Atherosklerose (3).


T-Zellen
T-Zellen sind das Zentrum des T-zellvermittelten Immunsystems: Sie spielen in der Erregerabwehr eine zentrale Rolle. T-Zellen sind in der Lage, immunologische Prozesse zu steuern, anderen Zellgruppen zu vermitteln und auch selbst direkt Erreger zu eliminieren (4).

Extrazelluläre Matrix (EZM)
Gewebe besteht aus Zellen und der extrazellulären Matrix. Zur EZM gehören Knochen, Zähne und Sehnen, aber auch die Basallamina, die das Bindegewebe von der Epithelschicht trennt (5). Die extrazelluläre Matrix (ECM) eines Blutgefäßes trägt vielfältig zur Funktion des Blutgefäßes bei. Sie bildet das  Gerüst.  Das komplexe Netzwerk aus elastischen Fasern kann gut  mechanische Aufgaben erfüllen. Die EZM liefert Informationen an die Gefäßzellen zu deren Regulierung ihrer Proliferation und Differenzierung. Des Weiteren können-Moleküle hier gelagert werden, die wiederum bestimmte Blutgefäßsystem-modulierende Aufgaben übernehmen (6).

Intima und Media
Innere und äußere Gefäßwandschicht einer Arterie (7).

Amplifikation
Vermehrung des Genoms oder der genetischen Information, in diesem Fall natürlich in den Zellen (8).


Proteolyse
Abbau von Proteinen, in diesem Fall Auflösung der extrazellulären Matrix (9).

Hypertonie
Bluthochdruck (10)

Koagulopathie
Störung der Blutrgerinnung (11)

Inhibierung antikoagulativer Prozesse
Hemmung der Blutgerinnungsprozesse (12)


Multi-Organ-Dysfunktion
Multi-Organ-Versagen (13)

Fibrinolyse
Auflösung eines Blutgerinnsels (14)

Mikrovaskuläre Dysfunktion
Funktionsstörung mehrerer Gefäße (15)

Pattern Recognition Receptors (PRR)
Proteine, die Pathogene anhand von charakteristischen Mustern erkennen (16).

Zytokine, Chemokine
Zytokine sind Polypeptide, die von Endothel- und Epithelzellen sezerniert werden (17).
Chemokine sind eine Unterfamilie der Zytokine mit starker chemotaktischer Aktivität als Antwort auf Entzündungssignale (18).


Quellen:

(1) „Center for Sepsis Control and Care“ (CSCC), Universitätsklinikum Jena (http://www.cscc.ukj.de/Sepsis.html)
(2) http://www.med4you.at/laborbefunde/lbef_mono.htm
(3) http://de.wikipedia.org/wiki/Monozyt#Monozyten-assoziierte_Krankheiten
(4) Frömmel, C. (o. J.): Expressionsanalyse des Killer-Inhibitory-Rezeptors CD158b auf CD8 T-Lymphozyten, die spezifisch für Humanes Cytomegalievirus sind. Dissertation Universitätsmedizin der Charité Berlin. http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000002285/0_Gesamtdissertation.pdf;jsessionid=77FCB65AF4FB149462000C51261CEA99?hosts=
(5) http://www.uni-leipzig.de/~biophys/gallery/wahlfach_schiller/ecm_physiker_web.pdf
(6) Eble, J. A. & Niland, S. (2009): Die extrazelluläre Matrix der Blutgefäße. Current Pharmaceutial Design 15/12:  1385-1400 (16).
(7) http://www.gesundheits-lexikon.com/Vorsorge-Diagnostik/Herz-Kreislauf-Gefaesse/Intima-Media-Dicke-Messung.html
(8) http://de.wikipedia.org/wiki/Amplifikation_%28Genetik%29
(9) http://flexikon.doccheck.com/Proteolyse
(10) http://www.netdoktor.de/Krankheiten/Bluthochdruck/
(11) http://www.medizinfo.de/haematologie/blutungsneigung/koagulopathie.shtml
(12) http://de.wikipedia.org/wiki/Antikoagulation
(13) http://sciencev1.orf.at/science/news/117557
(14) http://www.herzberatung.de/blutgerinnungshemmung_fibrinolyse.html
(15) http://de.wikipedia.org/wiki/Multi-Dysfunktionalit%C3%A4t
(16) http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/5712/pdf/korrigierteVersion2008b.pdf
(17) Engelhardt, B. (o. J.): IMMUNOLOGIE II, Kapitel 12 – Zytokine. Universität Bern. http://www.immunology.unibe.ch/wiki/Files/Kapitel_12_Immu_II_BE.pdf
(18) http://www.ipa.ruhr-uni-bochum.de/publik/info0103/chemokine.php


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