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Donnerstag, 04 Dezember 2014 21:59

Berlin: 33. Tierschutzforschungspreis des BMEL verliehen Empfehlung

BMEL-Preisverleihung_2014 BMEL-Preisverleihung_2014 C. Hohensee

Im Auditorium des Campus der Charité hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt am 4. Dezember den 33. Tierschutzforschungspreis an drei herausragende Forscher verliehen. Von 16 Bewerbungen wurden drei Arbeiten ausgewählt, die den Bereich Grundlagenforschung, angewandte Forschung und translationale Forschung im Bereich der Medizin abdecken.

Berlin: Tierschutzforschungspreisverleihung des Bundes
an Entwickler von Tierversuchsersatzverfahren

 

 




Von links nach rechts: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt und Preisträger Dr. Peter Reinhardt, Prof. Dr. Vera Rogiers und Mitarbeiter, ganz rechts: Preisträger Dr. Uwe Marx.
Foto: Christiane Hohensee


Der 33. Tierschutzforschungspreis sei, so Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt, ein Zeichen, dass sich Wissenschaftler kontinuierlich mit diesem Thema befassen. Er nahm die gestern veröffentlichten Versuchstierzahlen 2013 zum Anlass, um auf die Notwendigkeit der Erforschung von Alternativen zum Tierversuch hinzuweisen. Durch die Forschung an Alternativen zum Tierversuch konnte ein sprunghafter Anstieg der Versuchstierzahlen verhindert werden. Weiter hieß es u.a., dass die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Alternativen zum Tierversuch (ZEBET) beim Bundesinstitut für Risikobewertung zu einem Nationalen Kompetenzzentrum für Alternativen zum Tierversuch ausgebaut werden soll. Dazu sei bereits die personelle und technische Ausstattung verbessert worden, es brauche aber noch mehr Forschungs- und Untersuchungskapazitäten. Er hoffe, so der Minister, dass in Zukunft noch weniger Tiere zum Versuch herangezogen werden müssen.

In diesem Jahr geht der Preis gleich an zwei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin beziehungsweise deren Forschungsteams. Dr. Uwe Marx von der Technischen Universität Berlin wurde für seine langjährige Arbeit am künstlichen Mini-Organismus als Ersatz zum Tierexperiment ausgezeichnet. Dr. Peter Reinhardt vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster wurde für seine Entwicklung von humanen stammzellbasierten Modellsysteme für die Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen geehrt und Prof. Dr. Vera Rogiers von der Vrije Universität in Brüssel erhielt den Preis mit ihrem Forschungsteam für ihre Arbeit “Menschliche Stammzellen der Haut als neuartige Quelle für Zelltestsysteme im Lebertoxizitätsscreening von Pharmazeutika”.

Die Vorstellung der Arbeiten im Einzelnen:

1. Prof. Dr. Vera Rogiers: Menschliche Stammzellen der Haut als neuartige Quelle für Zelltestsysteme im Lebertoxizitätsscreening von Pharmazeutika

Die Preisträgerin, die Pharmazeutin Prof. Dr. Vera Rogiers, arbeitet an der Vrije Universität in Brüssel, Department of Toxicology, Dermato-Cosmetology and Pharmacognosy (FAFY). Prof. Rogiers ist co-chair des europäischen Scientific Committee on Consumer Products (SCCP), Mitglied in der Mirror-Group der European Partnership for Alternative Approaches to Animal Testing (epaa), Mitglied des ECVAM Scientific Advisory Committee (ESAC) und Koordinatorin bzw. Forschungspartnerin der EU-Projekte des 6. und 7. Rahmenwerks FP6 und FP7. Als Gründerin der Consencus platform for Alternative Methods (ecopa) war sie bis 2009 Vorstand.

Prof. Rogiers leitet zwei Arbeitsgruppen: der eine Zweig befasst sich mit Dermato-Kosmetischer Forschung. Hier werden Effizienz und Sicherheit von Hautkosmetika und dermatologischer Produkte bzw. dessen Formulierungen untersucht. Der zweite Zweig ist die toxikologische Forschung mit in vitro-Methoden. Hier werden Stammzellen aus der menschlichen Haut in primäre Leberzellen (Hepatozyten) weiter differenziert. Die Zellen kommen den natürlichen Eigenschaften, die sie im Organ hätten, recht nahe. Das ist bedeutsam, denn bislang werden zur Forschung vielfach entweder Zelllinien verwendet, die viele wichtige Zelleigenschaften gar nicht mehr besitzen, die sie im Organ hatten oder es werden Primärzellen aus zahlreichen Tierorganen verwendet, so dass immer auch die Speziesunterschiede berücksichtigt werden müssen. Primärzellen aus verschiedenen Organen vom Menschen können dagegen nicht in nennenswerter Menge isoliert werden. Hinzu kommt, dass sie ebenfalls wichtige Zelleigenschaften innerhalb weniger Tage verlieren, so dass nur kurzfristige Untersuchungen möglich sind.

Neue Arzneimittel müssen auf ihre Giftigkeit hin getestet werden. Über den Leberkreislauf können Wirkstoffe entgiftet, aber auch erst gegiftet werden. Der Leber als Entgiftungsstoffwechselorgan kommt hier besondere Bedeutung zu. Gerade bei fakultativen Lebertoxinen, also solche, die bei Enzymdefekten oder bei beeinträchtigter Leber, nicht jedoch bei allen Menschen auftreten, kann es sein, dass sie im Tierversuch gar nicht gesehen und auch in klinischen Studien nicht auftreten.  Aus diesem Grunde sind neue, leistungsfähige und aussagekräftige in vitro-Innovationen gefragt.

Mit der neuen Methode lassen sich Arzneimittel auf ihre Wirksamkeit hin testen, auch für wiederholte Anwendungen. Dadurch lassen sich unzählige Tiere in Toxizitätstests einsparen, zudem müssen keine Tiere mehr getötet werden, um ihnen Organe oder Gewebe zu entnehmen.

2. Dr. Uwe Marx: Künstlicher Mini-Organismus statt Tierexperiment

Dr. Uwe Marx ist ist Humanbiologe, Mediziner und Biotechnologe. Er leitet die Abteilung Multi-Organ-Chip am Institut für Biotechnologie der Technischen Universität Berlin. Dr. Marx ist der wissenschaftliche Gründer des Spinout-Unternehmens TissUse, in dem mehr als 20 Wissenschaftler die Multi-Organ-Chip-Technologie entwickeln. Er ist zudem im Aufsichtsrat der Startup-Unternehmen ProBioGen und VITA34.

Chip-Bioreaktoren weisen Handygröße auf. Derzeit treten entweder zwei oder vier Organ-ähnliche Zellgebilde über kleinste Fließwege miteinander in Austausch über Flüssigkeiten. Eine Pumpe versorgt die Kulturen mit Nährstoffen, Flüssigkeit und ggf. mit der zu testenden Substanz, z.B. ein gelöstes Arzneimittel. Die Gewebechips können zur Chemikalien oder Arzneimitteltestung, im Rahmen der Gewebezüchtung in der regenerativen Medizin oder als Bioreaktor zur Zellzucht genutzt werden. Bis Ende 2017 sollen die 10 wichtigsten Organe des Menschen simuliert werden können: Leber, Gehirn, Darm, Hoden, Skelettmuskulatur, Knochenmark, Lunge, Haut, Niere und Fettgewebe.

3. Dr. Peter Reinhardt: Stammzellbasierte Modellsysteme für die Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen

Der Biochemiker Dr. Reinhardt hat seine Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster bei Prof. Schöler angefertigt. Dort hat er mit Hilfe von humanen Stammzellen an Parkinson erkrankte Nervenzellen nachgezüchtet. Ausgangsmaterial hierfür waren Hautzellproben von Patienten, die unter Parkinson leiden. Die Hautzellen wurden zunächst re-embryonalisiert zu sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) und dann in Nervenzellen weiter differenziert. So konnte er gemeinsam mit weiteren Forscherkollegen die Ursachen für das bei dieser Krankheit auftretende Absterben von Nervenzellen finden. Auch fanden sie wichtige Gene, die zwar schon bei anderen Krankheiten des Nervensystems untersucht wurden, bislang aber nicht mit der Parkinson-Krankheit in Verbindung gebracht wurden.

Bei der Herstellung des Zellmodells wird in allen Zellen die genetische Mutation, die zu Parkinson führt, beibehalten und auch in den entwickelten Dopamin-produzierenden Nervenzellen ausgebildet, jene Zellen, die bei der Parkinson-Krankheit absterben. Durch eine gentechnische Methode wurde die Mutation, welche für die Krankheit bei den Patienten verantwortlich war, in den iPS-Zellen gezielt korrigiert und dadurch bestätigt, dass die Parkinson-Effekte durch die Parkinson-auslösende Mutation hervorgerufen worden waren. Mit der in Münster entwickelten Methode können nun an den isolierten Zellen Tausende verschiedener Wirkstoffe getestet werden. Durch die Methode kann das gewünschte Zellmaterial in ausreichender Menge hergestellt werden.

Aber auch andere neurodegenerative Erkrankungen können mit diesem Modellsystem nachgebildet werden wie z.B. Alzheimer oder ALS.
Die Arbeiten von Dr. Reinhardt haben in der Wissenschaft bereits Beachtung gefunden, er wurde u.a. mit dem MTZ®-MPI-Award 2014 Preis ausgezeichnet. Dr. Reinhardt arbeitet inzwischen am Zentrum für regenerative Therapien in Dresden (CRTD).