InVitroJobs stellt regelmäßig Wissenschaftler und ihre innovativen Forschungen als „Arbeitsgruppe im Portrait“ vor. Im Fokus stehen neu entwickelte Methoden, ihre Evaluation sowie der Ausblick, welche tierexperimentellen Versuchsansätze gemäß dem 3R-Prinzip (reduce, refine, replace) nach Möglichkeit reduziert und bestenfalls ersetzt werden können. In dieser Ausgabe stellen wir das Unternehmen Medicyte vor.


Arbeitsgruppe im Portrait: Medicyte GmbH

In dieser Ausgabe stellen wir die Medicyte GmbH aus Heidelberg vor, die spezielle Zellstämme entwickelt, die in der tierversuchsfreien Forschung eingesetzt werden können. Das Heidelberger Biotechnologie-Unternehmen Medicyte ist auf die kontrollierte Kultivierung primärer humaner Zellen in höchster Qualität fokussiert. Hierfür haben sie die sogenannte upcyte® Technologie entwickelt, die es ihnen ermöglicht, neue Zellsysteme zu etablieren, die in der Grundlagenforschung, bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe in der Pharma- und Kosmetikindustrie und für die Zelltherapie eingesetzt werden können. Im Jahre 2011 wurde Medicyte nach der Qualitätsmanagement-Standardnorm ISO 9001:2008 zertifiziert.

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Stammsitz der Firma Medicyte in Heidelberg: Foto: Medicyte GmbH


In vitro-Methoden, also Zellkulturtests in der Petrischale, stellen bereits seit vielen Jahren einen wichtigen Beitrag beim Screening1 von Wirkstoffen oder auch in der Grundlagenforschung z. B. bei der Untersuchung einzelner zellulärer Prozesse dar. Durch den Einsatz in der Medizin, in der Zellbiologie, der Pharmaforschung, bei der Impfstoffentwicklung und in der genetischen Forschung liefern diese Assays wertvolle Erkenntnisse. Zellkulturen können in Form einer Einzelzellschicht, in mehreren Schichten, in Ko-Kultur, in 2-dimensionalem oder 3-dimensionalem Wachstum bis hin in kugelförmigen oder Organ-ähnlichen Strukturen entwickelt und eingesetzt werden.

Doch der Einsatz von Zelkuturen ist nicht unproblematisch. Es kommt entscheidend darauf an, welche Art von Zellen für diese Tests zum Einsatz kommen. Häufig können über einen langen Zeitraum kultivierbare Zelllinien2 z. B. durch eine genetische Instabilität gewisse Eigenschaften in der Kultur verlieren, so dass die in vitro-Versuchsresultate nicht aussagefähig sind. Unzuverlässige oder nicht prädiktive Zellkulturergebnisse verhindern aber, dass die jeweilige in-vitro Methode später als Ersatz für einen tierexperimentellen Ansatz anerkannt wird.

Frisch isolierte Primärzellen kommen in ihren Eigenschaften für einen gewissen Zeitraum den Eigenschaften nahe, die sie im Organ hatten. Aber nach einer gewissen Zeit müssen wieder neue Zellen aus einem Tier isoliert werden. Das ist in der Regel mit dem Tod eines weiteren Tieres verbunden. In den  letzten Jahren steigt der Anteil der Tiere, die reine Organspender sind, stetig an. Außerdem gibt es Materialengpässe: Pro Isolation steht meist nur wenig Material zur Verfügung, was für den Mengenbedarf in Vergleichsstudien nicht ausreicht.


Medicyte GmbH: zum Goldstandard mit Zellstämmen?

Pharmakologische Untersuchungen zum Metabolismus, d.h. Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechslung und Ausscheidung einer Substanz, können durch die limitierte Anzahl an verfügbaren Primärzellen3 und limitierte Qualität von Zelllinien nur unzufriedenstellend durchgeführt werden. Das betrifft nicht nur die Pharmaindustrie, sondern hat auch Auswirkungen auf die Kosmetikindustrie sowie die chemische Industrie, die im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung REACh, die für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien steht, jede neu entwickelte Substanz auf ihre toxischen Eigenschaften untersuchen muss.


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Eine Mitarbeiterin prüft die Qualität von upcyte® Zellen. Foto: Medicyte GmbH


Zur Lösung dieses Problems hat Medicyte sich auf die Entwicklung von sogenannten Zellstämmen4 unter dem Namen upcyte® Zellen spezialisiert. Die upcyte® Technologie vereint die Qualität von Primärzellen mit der Quantität von Zelllinien.

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Neben den Zellen bietet Medicyte auch Nährmedien für die Upcyte® Zellen an.
Foto: Medicyte GmbH.



Upcyte® Zellen sind „hochregulierte“, genetisch modifizierte primäre Zellen. Diese sind in der Lage, sich über einen längeren Zeitraum kontrolliert über Zellteilung zu vermehren (zu proliferieren), so dass eine ausreihende Menge an Zellen für vergleichende Versuche bereitstehen. Des Weiteren behalten diese Zellen ihre Eigenschaften über den gesamten Zeitraum der Expansion bei.

Was bedeuten die Erkenntnisse nun für die Vielzahl an Tieren, denen die Organe entnommen werden? Mit humanspezifischen Zellkulturen ließe sich der Verbrauch von Tierorganen, -geweben und anderen Körperbestandteilen vom Tier für wissenschaftliche Fragestellungen, die den Menschen betreffen, reduzieren. Gleichzeitig ist es nötig, die aktuell vorhandenen Fördermittel für die tierverbrauchsfreie Forschung anzuheben. Der Einsatz von Zellstämmen wie die von Medicyte kann eine gute Alternative zum Tierverbrauch darstellen.


… „Ergebnisse mit höherer Aussagekraft“ ...

InVitroJobs sprach mit Dr. Birgit Tramnitz, Business Development Managerin bei der Medicyte GmbH, über die gegenwärtige Entwicklung von Zellkulturen.

InVitroJobs:
Welche Forschungsmöglichkeiten gibt es mittlerweile mit Zelllinien?

Dr. Tramnitz:
Mittels Zelllinien werden heutzutage vielfältigste Fragestellungen beantwortet. Zelllinien sind in ausreichendem Maße verfügbar, erlauben eine weitest gehende Standardisierbarkeit der Experimente, so dass sie bspw. für High Throughput Screening oder die Produktion von rekombinanten Proteinen eingesetzt werden können.

InVitroJobs:
Bietet die Forschung mit Zelllinien eine Möglichkeit, Tierversuche zu ersetzen?

Dr. Tramnitz:

Untersuchungen in humanen Zelllinien bzw. Zellstämmen führen im Gegensatz zu Tierversuchen zu Ergebnisse mit höherer Aussagekraft für die schlussendliche Anwendung von Wirkstoffen im Menschen.

InVitroJobs:
Warum nutzen dennoch viele Forscher Primärzellen?

Dr. Tramnitz:
Für Zulassungsverfahren sind zur Zeit in vitro Studien mit Primärzellen vorgeschrieben, da die Ergebnisse prädiktiver sind als beispielsweise mit Zelllinien.

InVitroJobs:
Warum verlieren Zelllinien mit der Zeit ihre Differenzierungeigenschaften? Ist es nicht auch problematisch, z.B. mit Zelllinien zu arbeiten, die auf eine Krebszelle zurückgehen wegen einer möglichen genetischen Instabilität?

Dr. Tramnitz:
Durch eine kontinuierliche Kultivierung von Zelllinien und den damit einhergehenden Risiken einer Anhäufung von genetischen Veränderungen, können deren Eigenschaften verloren gehen, so dass experimentelle Arbeiten mit Zelllinien sicherlich auch problembehaftet sein können.

InVitroJobs:
Wie könnte man das Problem lösen, dass von humanspezifischen Primärzellen z.B. aus Operationen oder Punktionen nicht genügend Material anfällt?

Dr. Tramnitz:
Durch die Generierung neuer Zellstämme wie bspw. den upcyte® Hepatozyten, welche  Eigenschaften vergleichbar zu Primärzellen aufweisen, die jedoch in großen Mengen verfügbar sind, könnte eine Limitierung von primären Zellen umgangen werden.

InVitroJobs:
Sind denn Zelllinien viel teurer als Primärzellen?

Dr. Tramnitz:
Zelllinien und Zellstämme sind im Vergleich zu Primärzellen günstiger, vor allem wenn ein hoher Durchsatz an Zellen benötigt wird.

InVitroJobs:
Wie ist die Nachfrageentwicklung nach Zelllinien?

Dr. Tramnitz:
Wenn Zelllinien und Zellstämme für den Kunden relevante Charakteristika aufweisen, ist die Nachfrage hoch, da die Limitierung in der Anzahl an Primärzellen ein konstanter Punkt ist.

InVitroJobs:
Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung ein?

Dr. Tramnitz:
Mit der ständig voranschreitenden Optimierung der Zellstamm-Generierung, wird die  Entwicklung  bei der Nachfrage nach Zellstämmen weiter zunehmen.

InVitroJobs:
Wir danken recht herzlich für das Gespräch.


Literatur:

(1) http://www.scinexx.de/newsletter-wissenswert-62-1.html
(2) http://www.beuth.de/de/norm/din-en-iso-10993-5/113571989
(3) http://www.igb.fraunhofer.de/content/dam/igb/de/documents/broschueren/Biologische_Beurteilung_von_Medizinprodukten__Pruefungen_auf_in_vitro_zytotoxizitaet_nach_din_iso_10993_5.pdf
(4) http://de.wikipedia.org/wiki/Zellkultur



Glossar:

1 Screening: Vorsortierung von Substanzen, die z.B. als  neue Wirkstoffe in Frage kommen könnten.
2 Zelllinie: häufig gentechnisch veränderte Zellen, die langfristig weitergezüchtet werden können. Sie haben jedoch eine Vielzahl an anderen Eigenschaften wie die Fähigkeit zum Fremdstoffmetabolismus verloren.
3 Primärzelle: Zellen, die frisch aus einem Organ oder Gewebe isoliert worden sind, z.B. aus einer Operation.
4 Zellstämme: Zellkultur zwischen Primärzellen und Zelllinien mit weitaus mehr Eigenschaften als Zelllinien.
5 High Throughput Screening: Substanztestung im großen maschinenellen Maßstab, indem eine Vielzahl an Proben gleichzeitig getestet werden können.



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