Der Preis soll dazu beitragen, die Anzahl und das Leiden von Versuchstieren in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre sowie der Herstellung biomedizinischer Produkte zu verringern, so die Veranstalter. Der Preis wurde diesmal an zwei Wissenschaftler vergeben, zusätzlich wurde eine weitere Forschergruppe geehrt.

Am Rande der Preisverleihung führte InVitroJobs Interviews mit den Preisträgern.

Der mit 15.000 Euro dotierte Tierschutzforschungspreis des Landes Hessen ging in diesem Jahr an zwei Wissenschafter, an Dr. Sascha Meyer dos Santos vom Institut für Klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt am Main sowie an den Ingenieur Andreas Daus von der Technischen Universität Darmstadt. Zusätzlich wurde das Wissenschaftsteam Prof. Wolfgang Kleinekofort und Prof. Friedemann Völklein für ihre Leistungen bei der Entwicklung eines Tierversuchsersatzverfahrens geehrt.

Bei der Preisverleihung im Hessischen Landtag zugegen waren die Vizepräsidentin des Hessischen Landtages, Ursula Hammann (Bündnis 90/Grüne), die Landtagsabgeordnete der SPD-Fraktion, Dr. Pauly-Bender, die Landesvorsitzende von Bündnis 90/Grüne, Kordula Schulz-Asche, und vom Landesverband der FDP, das Mitglied des Landtages Frank Sürmann. Hessen verlieh den Preis mittlerweile zum vierten Mal. Es war das erste Bundesland, das diesen Preis einführte, so die Hessische Tierschutzbeauftragte, Dr. Madeleine Martin.


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Die Laudation hielt die Hessische Umweltministerin, Lucia Puttrich.
Foto: Christiane Hohensee


In ihrer Laudatio betonte die Hessische Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU/CDU), dass Hessen als besonders wichtiger Standort für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung einen Anreiz geben will, Methoden weiter zu entwickeln, die Tierversuche ersetzen können. Es soll „ein Stück Aufmerksamkeit auf die Forschung gelenkt werden und ein Stück Ansporn gegeben werden, in diesen Bereichen weiter zu forschen“. Der Preis würde geteilt "einfach, weil viele gute Arbeiten eingereicht worden seien, und weil es schwer gewesen sei zu sagen, was man in einer besonderen Art und Weise prämiert".


… FRAKTALKIN SPIELT IN DEN ERSTEN STADIEN EINE ROLLE...
Atherosklerose: Mechanismus mit humanspezifischem Gewebe aufgeklärt


Der Diplom-Biochemiker Dr. Meyer dos Santos erhielt den Preis für die detaillierte Aufklärung eines Mechanismus, mit dem Blutplättchen an den Innenseiten der Blutgefäße haften bleiben. Die Ergebnisse sind für die Arterioskleroseforschung bedeutsam. Anstelle von gentechnisch veränderten Mäusen hat der Forscher hierfür ein Flusskammersystem mit humanen Blutgefäßen eingesetzt, die aus Bypassoperationen stammten.

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Preisträger Dr. Meyer dos Santos empfing die Würdigung von der Hessischen Umweltministerin, Lucia Puttrich.
Foto: Christiane Hohensee


InVitroJobs
sprach mit dem Preisträger.


InVitroJobs: Wir möchten Ihnen herzlich zu Ihrem Preis gratulieren.

Dr. Meyer dos Santos: Vielen Dank.

InVitroJobs: Womit beschäftigt sich Ihre Arbeitsgruppe im Allgemeinen?

Dr. Meyer dos Santos: Im Allgemeinen beschäftigen wir uns mit Arterioskleroseforschung und mit Gerinnungsforschung, wobei unser Schwerpunkt auf den Blutplättchen liegt. Mein Schwerpunkt ist die Adhäsion von Blutplättchen an allen möglichen Matrices, so an Proteinen, an Endothelzellen und – was heute der Kern der Arbeit war – an humanen Arterien, um halt möglichst nah an Krankheitsgeschehen ranzukommen, um neue Mechanismen aufzudecken, wie Arteriosklerose entsteht und wie diese Krankheit weiter voranschreitet.

InVitroJobs: Bei der Vielzahl an existierenden Chemokinen: wie sind Sie denn gerade auf dieses gekommen? Was ist das Besondere an Fraktalkin?

Dr. Meyer dos Santos: Das Besondere an dem Fraktalkin ist, dass es auch membranständig vorkommt. Die meisten Chemokine sind ja nur löslich im Blut am Entzündungsgeschehen beteiligt. Es kommt membranständig auf dem Endothel vor, d. h. auf der Gefäßinnenwand, und kann dort eine Adhäsion von Leukozyten verursachen. Das war vorher bekannt. Und wir konnten nachweisen, dass es auch eine Adhäsion von Blutplättchen aus dem fließenden Blut heraus bewirkt. Und das ist das Besondere an dem Fraktalkin. Ich bin darauf gekommen, weil es der Anfang meiner Doktorarbeit war, den Mechanismus des Fraktakins aufzuklären.

InVitroJobs: Was könnte die medizinische Bedeutung sein?

Dr. Meyer dos Santos: Am Entzündungsprozess sind Blutplättchen ganz entscheidend beteiligt. Man hat bis vor 10 Jahren gedacht, dass die Blutplättchen bei der Entstehung von Arteriosklerose keine Rolle spielen, sondern erst ins Interplay kommen, wenn es zur Plaqueruptur kommt, d. h. im Endstadium dieser Krankheit. Wir wissen seit einigen wegweisenden Arbeiten, dass die Blutplättchen schon auch an der Entstehung der Atherosklerose beteiligt sind und zwar teilweise schon bevor die Leukozyten einwandern, sind schon die Plättchen vor Ort und dirigieren die Leukozyten an den Ort der Plaquebildung. Sie haben auch ein ganzes Arsenal an pro-inflammatorischen Agenzien, die sie ausschütten können, so dass sie diese ganzen Prozesse triggern können. Also sie sind von Anfang an irgendwie daran beteiligt.

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Fraktalkin bei der Entstehung der Arteriosklerose, in den ersten Stadien eine Rolle spielt. Das würde auch bedeuten, dass man da medikamentös etwas machen könnte. Das Problem ist, dass die Patienten da klinisch noch gar nicht auffällig sind, sondern vielleicht erst 30 oder 40 Jahre später. Deswegen kann man die medizinische Bedeutung erstmal so nicht erfassen.

InVitroJobs: Wieviel Tierversuche Sie mit Ihrer Methode ersetzen könnten ist wahrscheinlich schwer zu sagen, oder?

Dr. Meyer dos Santos:
Ja, das ist schwer zu sagen.

InVitroJobs: Welche knock-out Mäuse nutzt man denn bislang?

Dr. Meyer dos Santos: Also, in unserem Falle hätte man Fraktalkin-Knock-out-Mäuse genommen, um den Einfluss von Fraktalkin auf die Blutplättchen zu zeigen. Wir hätten dann Experimente machen müssen, in denen man künstlich eine Atherosklerose induziert, also man hätte dann noch ein ApoE-knock out, damit das Lipidstoffwechselmuster durcheinander kommt, und dann würde man diese Arterien präparieren und versuchen, teilweise am lebendigen Tier eine Thrombose in den Arterien zu setzen, um dann zu evaluieren, wie denn diese Prozesse ablaufen. Üblicherweise müssen Sie bei solchen Experimenten ungefähr 10 Tiere pro Ansatz machen, dann haben Sie natürlich noch eine unbehandelte Kontrolle, also es wären schon mal mindestens 20 Tiere. Viel gravierender wären aber erst einmal die Vorversuche und Methodenentwicklung. Das ist natürlich immer eine Grauzone, da weiß man nie, wie viel Tiere man gebraucht hätte, um an publikationsreife Daten zu kommen. Also in jeden Falle weit mehr als die 20 Tiere, die man in der Publikation sieht.

InVitroJobs: Sie haben die humanen Arterien aus Bypass-Operationen verwendet: Wie lange lassen die sich denn nutzen?

Dr. Meyer dos Santos: Das ist ziemlich unproblematisch. Wir haben die teilweise 3 bis 4 Tage in Kultur gehabt. Ich weiß von anderen Arbeitsgruppen, dass sie teilweise bis zu zwei Wochen Präparate in Kultur halten, bevor die in irgendeiner Art und Weise weiter analysiert oder verarbeitet werden. Unter guten Bedingungen funktioniert das ganz gut, diese Präparate sind ziemlich lange vital, es ist erstaunlich.

InVitroJobs: Hat die Qualität der Arterienstücke einen Einfluss?

Dr. Meyer dos Santos: Das ist ein Problem, auch bei der technischen Durchführung. Manche sind dicker, manche dünner. Manche lassen sich sehr leicht präparieren und von dem umliegenden Binde- und Fettgewebe befreien, bei anderen ist das kaum möglich, weil die schon zunehmend fibrosiert sind. Insgesamt konnten wir das aber stabil messen. Das größte Problem war die unterschiedlich dicken Arterien in diese Flusskammer einzubringen. Es gab manchmal Präparate, die waren zu dick und konnten nicht verwendet werden. Sie werden ja wie eine Dachrinne aufgeschnitten und das Blut fließt dann da rüber. Darüber ist dann noch ein eine Art Deckel (Ibidi sticky slides). Der Abstand zwischen Arterie und darüber befindlichem Deckel müsste immer konstant sein, um die Strömungsbedingungen in fließendem Blut konstant zu halten. Das Problem mit dem Abstand hatten wir aber Gott sei Dank selten. Für die Weiterentwicklung ist das aber sicher ein Knackpunkt, wo man noch etwas verbessern müsste.

InVitroJobs: Sie haben die Arbeit eingereicht und die Gutachter haben gesagt: nein – machen Sie erst einmal einen in vivo-Versuch. Wie haben Sie sich durchgesetzt, wie haben Sie die Gutachter überzeugen können?

Dr. Meyer dos Santos:
Wir haben es letztendlich ja in Blood publiziert aber die Arbeit vorher in „Circulation Research“ eingereicht. Tenor der Reviewer war: Eure in vitro Daten sind ja gut und schön, aber ihr braucht Daten, die nicht so artifiziell sind und näher an der in vivo Situation. Die meisten schlugen natürlich die knock-out Maus vor. Einer der Reviewer hat jedoch vorgeschlagen: nehmt humane Arterien, das ist das Beste, da seid Ihr so nah an der humanen Pathophysiologie wie überhaupt möglich. Und dann waren wir an der Entscheidung Tierversuch - ja oder nein. Es gibt für mich mehrere Gründe gegen den Tierversuch. Das liegt einerseits an meinen Eltern, die wenn sie eine störende Fliege im Haus haben, die Fliege nicht töten, sondern fangen: Fenster auf und raus damit. Das habe ich von klein auf mitbekommen. Auf der anderen Seite sind es rein pragmatische Erwägungen, d. h. wenn Sie alles humanspezifisch haben, die gesamten Proteine, die gesamten Antikörper für die Flußkammer, müssten Sie bei einem Maus-Tierversuch auch alles auf Maus umstellen. Deswegen hat uns der Ansatz gleich gefallen. Dann haben wir diese Experimente gemacht und haben das Manuskript wieder bei Circ Res eingereicht und dann ist es einfach abgelehnt worden. Dann sind wir zu Blood gegangen. Die haben das von vornherein gleich akzeptiert mit diesen humanen Arterien. Ich denke, wenn man in einem Reviewprozess ist, ist es einfach auch eine Glückssache, ob die Reviewer die zur Beantwortung ihrer Fragen produzierten Daten akzeptieren oder nicht.

InVitroJobs: Für welche zukünftigen Fragestellungen möchten Sie Ihr Modell einsetzen? Wie sieht es aus mit einer Evaluierung und einer späteren Validierung? Wie könnte man es in die Produktion bringen?

Dr. Meyer dos Santos: Ich glaube, es in die Produktion zu bringen wäre schwierig, einfach weil Sie einen Arteriennachschub auch nicht im unbegrenzten Maße haben, so dass es sehr sehr schwierig wird, ein verkaufsfähiges Device herzustellen. Wir planen jedenfalls, es für unsere weiteren Untersuchungen einzusetzen. Wir untersuchen weitere, von dem Endothel gebildete Adhäsionsliganden auf ihre Kapazität der Plättchenadhäsion. Und da werden wir unser System auf jeden Fall weiter einsetzen. Wir bieten das aber auch über unsere Technologietransfer-Plattform für andere Interessierte an. Wir sind als akademisches Institut natürlich immer offen, wenn Leute das Interesse haben, diese Technik selbst zu lernen, so dass sie zu uns ins Labor kommen, sich das anschauen können, wie wir das machen, dass man Experimente zusammen macht. Wir hatten teilweise schon Anfragen von der Pharmaindustrie und sind da natürlich auch offen, Sachen zu messen, gerade wenn man pharmakologisch das Blut beeinflusst, um zu sehen, ob die Inflammation beeinflusst wird oder nicht. Das ist sehr viel einfacher als die Arterienpräparate pharmakologisch zu behandeln. Wir wollen auch das gesamte System mehr standardisieren, um die unterschiedliche Wanddicke der Arterien zu kompensieren, wie ich bereits erwähnte, so dass das Strömungsprofil besser reproduzierbar ist. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.

Eine Sache die wir noch vorhaben, ist folgende: Die Bypass-Stücke werden ja aus der Arteria radialis, also der Unterarmarterie oder aus der Brustwandarterie, der Arteria marmaria, entnommen. Wir wollen nun schauen, wie diese Präparate unterschiedlich reagieren in Bezug auf Stimulation. Es gibt theoretische Überlegungen, die das nahe legen, dass die Arteria radialis für unsere Fragestellungen besser geeignet ist. In Versuchen wollen wir die miteinander vergleichen. Daraus wollen wir dann eine Publikation machen, die wir dann in ALTEX, in Alternativen für Tierexperimente, unterbringen. Das ist aber bislang nur auf dem Niveau eines Brainstormings. Im Hintergrund sind zwar schon Präparate eingefroren, um immunhistochemische Untersuchungen durchzuführen, mit dem Ziel zu sehen, ob die unterschiedlich stimulierbar sind, d.h. ob die Proteinexpressionsmuster unterschiedlich sind. Wir wollen sie natürlich auch funktionell in der Flusskammer vergleichen in Bezug auf Plättchen- und Leukozytenadhäsion und hoffen, dass wir das im nächsten Jahr hinkriegen. 

InVitroJobs: Recht herzlichen Dank.

Dr. Meyer dos Santos: ja, gerne.


... FÜR DIE INDUSTRIE ATTRAKTIV MACHEN ...
Biosensoren messen Aktionspotenziale von 3D-Zellkugeln


Der Diplomingenieur Andreas Daus wurde für die Entwicklung eines Biosensors auf der Basis dreidimensionaler Zellkultursysteme geehrt: zunächst wurden Kardiomyozyten (Herzzellen) und Neurone (Nervenzellen) jeweils mit einer selbst konstruierten Rotationseinrichtung zu kugelförmigen 3D-Gebilden, sogenannten Sphäroiden, aggregiert. Diese Sphäroide mit einer Größe von zirka 0,3 Millimetern wurden dann an neu entwickelte Mikroelektroden zur Analyse zellulärer Prozesse gekoppelt. Da sowohl die Herz- als auch Nervenzellen Aktionspotenziale bilden, lassen sich Änderungen im elektrischen Signalmuster nicht-invasiv messen. Das Verfahren ist geeignet, die Sphäroide auf pharmakologisch wirksame Stoffe oder ionisierende bzw. nicht-ionisierender
Strahlung zu testen. Die Innovation geht aus einer Kooperation der Technischen Universität Darmstadt, Fachbereich Biologie, mit der Hochschule Aschaffenburg, Fachbereich Ingenieurwissenschaften, hervor.


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Preisträger Andreas Daus und die Hessische Umweltministerin Lucia Puttrich.
Foto: Christiane Hohensee



InVitroJobs sprach mit dem Preisträger Diplomingenieur Andreas Daus.

InVitroJobs: Ich möchte Ihnen erst einmal herzlich gratulieren.

Dipl.-Ing. Andreas Daus: Vielen Dank.

InVitroJobs: Können Sie kurz Ihre Ergebnisse beschreiben?

Dipl.-Ing. Andreas Daus: In vitro Zellkulturen stellen ein attraktives Instrument für den Ersatz von Tierversuchen dar. Für den umfassenden Einsatz sowie die breite Akzeptanz ist es zum einen nötig, in vitro Systeme zu entwickeln, die als valides Ersatzmodell fungieren, und zum anderen geeignete Analysemethoden zu etablieren, die zelluläre Reaktionen qualitativ und quantitativ verwertbar machen. In meinem Projekt, das in sehr enger Zusammenarbeit mit der TU Darmstadt, Fachbereich Biologie, und der Hochschule Aschaffenburg, Fachbereich Ingenieurwissenschaften erfolgt, konnte ein neuartiges Biosensorsystem entwickelt werden, das diesen Ansprüchen gerecht wird. Physiologisch relevante, dreidimensionale Zellnetzwerke wurden an ein Sensorsystem gekoppelt um funktionale oder analytische Informationen über physikalische und chemische Stimuli zu erhalten. Damit ist es beispielsweise möglich, Aussagen über die Wirkung von pharmakologischen Wirkstoffen zu treffen. Inzwischen konnten die Ergebnisse mehrfach publiziert bzw. auf Konferenzen vorgestellt werden. Der Tierschutzforschungspreis stellt wohl die endgültige Würdigung dar.

InVitroJobs: Sie haben Sphäroide hergestellt: Ist das eine neue Idee oder bereits ein gängiges Verfahren?

Dipl.-Ing. Andreas Daus: Das Verfahren habe ich von meinem Doktorvater, Prof. Paul Layer in Darmstadt, abgeschaut, der Retina-Sphäroide seit Jahren als Modell für entwicklungsbiologische Untersuchungen heranzieht. Ich habe die Methodik dann für meine Zelltypen adaptiert und die Sphäroide für akute elektrophysiologische Untersuchungen an Mikroelektroden Arrays gekoppelt.

InVitroJobs: Herzzellen bestehen doch aus unterschiedlichen Zelltypen mit unterschiedlichen Aufgaben und Kanälen. Haben alle Sphäroide eine quantitativ ausreichende Anzahl der Zelltypen an Kardiomyozyten, die Sie brauchen?

Dipl.-Ing. Andreas Daus: In der Tat ist es wichtig, eine heterogene in vitro-Kultur vorliegen zu haben. Aus einer Monokultur wird man keine funktionalen Sphäroide generieren können.

InVitroJobs: Waren die Kardiomyozyten und die Neurozyten vor der Rotation schon ausdifferenziert oder haben Sie Progenitorzellen eingesetzt?

Dipl.-Ing. Andreas Daus: Man kann das mit embryonalem Gewebe vergleichen. Natürlich liegen hier auch Zellen vor, die nicht vollständig ausdifferenziert sind.

InVitroJobs: Wie ist im Moment der Stand der Dinge? Was haben Sie als Nächstes vor? Was möchten Sie mit den Ergebnisse zukünftig machen?

Dipl.-Ing. Andreas Daus: Unser Ziel wäre es, noch einen Partner aus der Industrie zu gewinnen, der das ganze System auch verwertet. Ich denke, wir haben sehr gute Ergebnisse auf wissenschaftlicher Ebene erzielen können und sollten dies auch zur praktischen Anwendung bringen.

InVitroJobs: Einen Ringversuch haben Sie auch durchführen lassen von unabhängigen Gruppen?

Dipl.-Ing. Andreas Daus: Bisher sind zwei Labore involviert gewesen, zum einen das an der Hochschule in Aschaffenburg unter der Leitung von Frau Prof. Thielemann, und zum andereren das an der TU Darmstadt unter der Leitung von Prof. Layer.

InVitroJobs: Könmnen Sie sich vorstellen, dass das Modell zur Marktreife gelangt und als Verfahren in die Gesetze als vorgeschriebenes in vitro-Verfahren einfliesst als eine Möglichkeit, pharmakologische bzw. toxikologische Stoffe zu testen?

Dipl.-Ing. Andreas Daus: Ja, auf jeden Fall. Es ist nicht mein Ziel, ausschließlich wissenschaftlich zu publizieren und mich dann wieder in meinem Labor einzuschließen. Ich möchte meine Arbeit für die Industrie attraktiv machen und zur Anwendung bringen.

InVitroJobs: Vielen Dank.

Dipl.-Ing. Andreas Daus: sehr angenehm, vielen Dank.



… EIN SPRUNG VON DER OBERFLÄCHE DIREKT ZUM MENSCHEN...
Erfassung der Zellvitalität auf dem Mikrochip


Prof. Wolfgang Kleinekofort, Leiter des Studienbereichs Physik der Hochschule Rhein-Main, und Prof. Friedemann Völklein, Direktor des Instituts für Mikrotechnologien (IMtech) der Hochschule RheinMain, werden für die Entwicklung eines Mikrochips ausgezeichnet, der die stoffwechselbedingte Wärmeproduktion von Zellverbünden auf Implantatoberflächen im Nanokalorimetriebereich messen kann. Ziel ist es, eine Tierversuchsersatzmethode zum Test von Implantatverträglichkeiten mit menschlichen und tierischen Zellen zu entwickeln, damit der Tiereinsatz hier zumindest teilweise abgelöst werden kann. Um die Langzeitverträglichkeit von Implantaten im Empfängerorganismus zu testen, werden diese normalerweise bereits im Vorentwicklungsstadium im Tier getestet. Mit Hilfe des entwickelten Mikrosensors, der die Wärmeproduktion von Zellen im Nanowattbereich misst, lassen sich nun außerhalb eines Organismus Vitalität, Zellbeeinträchtigungen und Abstoßungsreaktionen feststellen. Ein eigens entwickeltes miniaturisiertes Thermoelement kann hierbei Temperatur-schwankungen im Bereich weniger Zehntausendstel Grad detektieren. Bei einer Abstoßung des Implantates kommt es zu einer Temperaturüberhöhung in den Zellen (Fieberreaktion). Ein Rückgang der Wärmeproduktion lässt eine Beeinträchtigung der Zellen durch das Implantat annehmen. Der Mikrochip wurde am Institut für Mikrotechnologien bereits mehrfach getestet, allerdings an Bäckerhefe-Zellen. Nun wollen die Wissenschaftler humane Kardiomyozyten und Keratozyten testen. Das Verfahren kann, so die Forscher, auch auf die Wirkstofftestung in der pharmazeutischen Industrie ausgeweitet werden.


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Preisträger Prof. Wolfgang Kleinekofort (links) und Prof. Friedemann Völklein (mitte) lauschen der Ansprache von Umweltministerin Lucia Puttrich.

Foto: Christiane Hohensee

InVitroJobs sprach mit den beiden Wissenschaftlern nach der Preiszeremonie.

InVitroJobs: Ich möchte Ihnen beiden zunächst einmal zu Ihrer Ehrung gratulieren. Es ist ja nicht die finanzielle Preisverleihung, aber trotzdem ein Ehrenpreis, eine Würdigung Ihrer schönen Arbeit.

Prof. Kleinekofort: Wir sind mit Geld auch nicht mehr zu motivieren (lacht).

Prof. Völklein: lacht.

InVitroJobs: Können Sie denn Ihre Arbeit kurz umreißen?

Prof. Kleinekofort: Der Ansatz ist der, dass zur Zeit 70 Prozent aller neu entwickelten Oberflächen im Bereich der Medizintechnik eine nur mäßige Langzeitbiokompatibilität zeigen. Die Folgen für den Patienten sieht man beispielhaft am jüngsten Skandal, den minderwertige Silikonimplantate der Firma PIP ausgelöst haben. Frau Puttrich hatte ja bereits den Hüftgelenksprothesenskandal angesprochen. Ursache der Probleme ist die ungenügende Testung der Oberflächen auf Langzeitverträglichkeit. In der Oberflächenentwicklung kommt zudem erschwerend hinzu, dass viele neue Wege ausprobiert werden, allerdings nur Wenige zum Ziel – nämlich einer neuen, brauchbaren biokompatiblen Oberfäche – führen. Man entwickelt folglich erst einmal Oberflächen, dann testet man diese im Tierversuch und sagt meistens danach, na ja, Version A ist nicht ganz so gut, und Version B, C etc. können wir von vornherein vergessen. Der Tierversuch hat aber da schon stattgefunden. Dementsprechend muss man wirklich davon ausgehen, dass rund 70 Prozent der Tierversuche im Bereich der Oberflächenentwicklung unnütz sind. Unser Ansatz war nun, quasi einen Sprung zu machen  von einer Oberfläche direkt zum Menschen, indem wir sagen, wir überspringen den Tierversuch. Wir nehmen körpereigene Zellen und bringen diese auf einer zu testenden Oberfläche auf. Wir schauen uns dann auf zellulärer Ebene an, wie sich die menschlichen Zellen auf der Oberfläche verhalten. Damit können wir im mikroskopischen Maßstab die Biokompatibilität und die Zellverträglichkeit der Oberflächen in Zukunft testen – so die Hoffnung.

Prof. Völklein: Ja, technische Realisierung: wir haben uns überlegt, man müsste einen Sensor haben, der erfasst, wie menschliche Zellen auf bestimmte Oberflächen reagieren. Ein Ansatz wäre zu kontrollieren, wie sich der Stoffwechsel von Zellen verhält, wenn sie auf bestimmten Oberflächen positioniert werden. Diesen Stoffwechsel versuchen wir, thermisch zu erfassen, indem wir die Vitalität der Zellen durch einen thermischen Sensor erfassen, der in der Lage ist, die durch den Metabolismus der Zellen entstehende Wärmemengen zu detektieren und dadurch festzustellen, ob sich die Zellen – salopp gesprochen – wohlfühlen oder nicht, ob sie absterben oder einen normalen Stoffwechsel, eine normale Vitalität haben. Das erfordert wiederum einen Sensor, der extrem empfindlich ist, weil die Zellen nur ganz wenig Wärmemenge produzieren. Das war die ingenieurwissenschaftliche Herausforderung: einen Sensor zu finden, der so empfindlich auf Zellstoffwechselprozesse reagiert.

Prof. Kleinekofort: er ist der Einzige, der so etwas kann.

Prof. Völklein: es müssen halt immer wieder die richtigen Leute zusammen kommen, das ist der wichtige Punkt bei solchen Ansätzen.

InVitrojobs: Um welcher Art Implantate handelt es sich, die damit untersucht werden können?

Prof. Kleinekofort: restlos alle. Jede Oberfläche steht in direktem Kontakt mit dem Gewebe und mit dem Blut. Deshalb geht es um alle Implantate, die entwickelt werden. Ob passiv oder aktiv, ob die passive Funktion einer Herzklappe oder eine Silikonprothese genannt ist, oder ein aktiv funktionierendes Herzunterstützungssystem, das implantiert wird. Es geht im Prinzip um alle Oberflächen, die in der Medizin eingesetzt werden und Probleme machen.

Prof. Völklein: Die Flexibilität resultiert daraus, dass wir in dem Sensorsystem im Prinzip alle diese unterschiedlichen Oberflächen durch spezielle Beschichtungsprozesse herstellen können. Wir können beispielsweise die Titanoberflächen erzeugen, so wie sie bei Prothesen üblicherweise verwendet werden, man kann diese Oberfläche aber auch auf andere Weise modifizieren, so dass sie immer der jeweiligen Implantatoberfläche entspricht.

InVitrojobs: Welche Tiere werden in Versuchen normalerweise eingesetzt?

Prof. Kleinekofort: Schafe und Ziegen.

InVitroJobs: Wie schließen Sie den den Pyrogeneinfluss aus?

Prof. Kleinekofort: In dem man ihn testet. Man kann ja die Pyrogenität und die Oberflächentestung in einem machen. Die Fieberreaktion, die durch Pyrogene ausgelöst wird, können wir mit unserem Chip direkt nachweisen. Das ist genau das, was wir in der Zelle messen. Jede Zelle hat eine gewisse Standardbasis-Leistung. Wenn die erhöht ist, hat man eine Fieberreaktion, wenn die vermindert ist, hat man Toxizität. So kann man die über den Stoffwechsel proportionale Energie direkt sehen, wie es der Zelle geht.

InVitroJobs: Wie ist denn er Entwicklungsstand im Moment? Ist das Verfahren evaluiert oder wollen Sie es evaluieren, möchten Sie es validieren?

Prof. Völklein: Der Sensor funktioniert phantastisch - die Zellen wollen noch nicht so wie wir wollen.

Prof. Kleinekofort: Wir müssen jetzt noch viel mehr Zelllinien durchtesten, wir sind jetzt an dem Punkt, wo der Sensor perfekt entwickelt ist, super funktioniert, reproduzierbare Ergebnisse bringt, die ersten Zellergebnisse vorliegen, nur die eigentliche qualitative  und quantitative Zelllinienforschung geht jetzt erst los.

Prof. Völklein: einer der nächsten Arbeitsschritte wird sein, dass die Arbeitsgruppe von Frau Prof. Thielemann in Aschaffenburg auf diesem Chip Herzmuskelzellen positionieren will, um deren Metabolismus zu untersuchen. Also, der nächste Schritt wird sein, dass wir mit einem ganz speziellen Zellsystem den Chip in seiner Funktion testen werden.

InVitrojobs: und langfristig ist angedacht, dass man dieses Verfahren zur Marktreife bringt?

Prof. Kleinekofort: ja.

Prof. Völklein: ja.

InVitrojobs: Sie haben mit dem Modell bereits an der Hochschule gearbeitet: Wie sind denn so die Erfahrungen mit den Studenten? Finden die das toll oder ist es zu schwierig?

Prof. Kleinekofort:
Es ist schwierig, da geeignete Personen zu finden. Das Thema ist natürlich reizvoll.

InVitrojobs: Wäre es gut, wenn man z. B. einen Lehrstuhl hätte für Ersatzverfahren?

Prof. Kleinekofort: Ja.

Prof. Völklein: Ja.