Der diesjährige mit 25.000 € dotierte Förderpreis für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch des Landes Baden-Württemberg 2011 geht an zwei Forschergruppen vom Universitätsklinikum Tübingen. Dr. Martina Berger von der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Forschungslabor von Prof. Dr. Ulrich Stock, sowie Martina Zimmermann und Prof. Dr. Ulrich  Lauer, Leiter der Forschergruppe Molekulare Onkologie der Abteilung Innere Medizin I, wurden für Tierversuchsersatzverfahren auszgezeichnet. Den vollständigen Beitrag können Sie hier lesen.

InVitroJobs sprach anlässlich der Preisverleihung mit Prof. Dr. med. Ulrich Lauer, einem der Preisträger des diesjährigen Tierschutzforschungspreises des Landes Baden-Württemberg.


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Wie lange wird es dauern, bis ein Patient seine personalisierte Tumormedizin mit einem Virotherapeutikum bekommen kann?

Prof. Dr. Ulrich Lauer:
Das weiß man noch nicht, weil noch nicht so viele Patienten mit der Virotherapie behandelt worden sind. Das hängt auch damit zusammen, dass man bislang nicht weiß, wie viel Virus man zu welchem Zeitpunkt in welcher Menge geben kann und soll. Es gibt eine Studie zu Hautkrebs, in der man alle 14 Tage Viren unter die Haut gespritzt hat. Bei uns in Tübingen werden alle 4 Wochen Viren in die Bauchhöhle infundiert.

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Treten dabei Nebenwirkungen auf? Ich meine, bei den herkömmlichen Therapien wie Chemotherapie und Bestrahlung treten ja teilweise starke Nebenwirkungen auf.

Prof. Dr. Ulrich Lauer:
Vergleichbare Nebenwirkungen sind bisher in aller Regel nicht festgestellt worden. Der Patient merkt allerdings sehr wohl, dass er Viren im Körper hat. Dabei treten wie bei einer normalen Infektion erhöhte Körpertemperaturen im Bereich von 38 Grad Celsius auf. Der Patient bekommt Kopf- und Gliederschmerzen, die aber meist nach zwei Tagen wieder verschwunden sind. Diese typischen Nebenwirkungen bedeuten, dass sich das Immunsystem mit dem Virotherapeutikum auseinandersetzt. Das ist auch gut so, denn ein Teil der antitumoralen Wirkung geht sicherlich vom Immunsystem aus, das durch die virale Stimulation in die Lage versetzt wird, bis dato der Immunüberwachung entgangene Tumorzellen nun wirksam zu bekämpfen.

InVitroJobs:
Lässt sich der Effekt der Virotherapie auf Primärtumoren der Leber schlechter detektieren als auf Lebermetastasen?

Prof. Dr. Ulrich Lauer:
Das ist richtig, es handelt sich um ein bekanntes methodisches Problem: Da die Leber zu den Organen gehört, die eine besonders hohe Autofluoreszenz aufweisen, können in der Leber die vom Virotherapeutikum exprimierten Markergen-Signale, in diesem Fall GFP, nur schlecht diskriminiert werden. Bei Metastasen, die ja nicht von Leberzellen ausgehen, liegt eine derartig hohe Autofluoreszenz nicht vor, so dass unsere Markerproteine sehr gut zu detektieren sind. Der Grund liegt in der Leber selbst begründet: durch die Funktion der Leber als Hauptorgan für Metabolismus, Biosynthese, Katabolismus und Entgiftung werden hier viele Proteine produziert, die in der Fluoreszenz-Wellenlänge mit angeregt werden (sogenannte Fluorophore).

InVitroJobs:
Stimmt es, dass bei der Virotherapie-Technologie ß-Galaktosidase und Chemokine eine Rolle spielen?

Prof. Dr. Ulrich Lauer:
Richtig. Man kann für die Virotherapie entweder Wildtyp-Viren einsetzen oder aber rekombinant veränderte Viren, die z.B. zusätzlich für Markergene (wie GFP, ß-Galaktosidase) oder immunstimmulierende Gene (wie GM-CSF) kodieren. Damit ist die Möglichkeit groß, Viren als Expressions-Plattform zu nutzen.

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Was ist mit Patienten, die mit Masern-Impfvirus basierten Virotherapeutika behandelt werden sollen, bislang jedoch keine Maserninfektion hatten bzw. nicht geimpft sind?

Prof. Dr. Ulrich Lauer:
Sämtliche Masern-Virotherapeutika werden auf Basis von Masern-Impfviren hergestellt. Somit erwirbt der Patient quasi zusätzlich im Rahmen seiner virotherapeutischen Tumorbehandlung eine Masern-Immunisierung. Sehr interessant ist die Frage, warum Masern-Impfviren selektiv Tumorzellen abtöten. Hierbei handelt es sich um einen generellen Mechanismus: Tumorzellen haben im Vergleich zu normalen Körperzellen in der Regel kein intaktes Abwehrprogramm gegen Viren mehr, was eine Folge der sehr vielen Mutationen darstellt, die sich im Entartungsprozess ereignen. Daher sind Tumorzellen im Gegensatz zu Körperzellen ausgesprochen anfällig für Viren. Das stellt die Achillesferse der Tumorzellen im Hinblick auf die Virotherapie dar.

InVitroJobs:
Gibt es auch die Möglichkeit, dass das Virotherapeutikum mutiert?

Prof. Dr. Ulrich Lauer:
Im Prinzip ja, aber bislang wurde das nicht beobachtet. Wir verwenden Impfviren, die sich über Jahrzehnte als stabil gezeigt haben. Im Labor haben wir eigene Untersuchungen gemacht und zeigen können, dass nach zumindest 5 Zellpassagen das Virus noch zu 100 Prozent mit dem Ausgangsvirus identisch war. Die Frage wäre: wie viele Mutationen müssten an einem Virotherapeutikum stattfinden, damit dieses zu einem gefährlichen Virus (mit Wildtyp-Eigenschaften) rückmutiert - dafür bräuchte es nach gegenwärtigem Kenntnisstand sehr viele Mutationen, so dass die Wahrscheinlichkeit hierfür als sehr sehr gering gilt.

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Warum haben Sie in der Arbeit auch immortalisierte Nierenzellen (Vero Zellen) vom African Green Monkey verwendet?

Prof. Dr. Ulrich Lauer:
Vero Zellen wurden bereits im Jahr 1962 etabliert und sind über die Zellbank ATCC erhältlich. Vero Zellen haben eine besondere Eigenschaft, die sie sehr interessant für die Virusforschung machen: sie weisen einen Defekt auf, der es ihnen unmöglich macht, den Botenstoff Interferon zu produzieren. Damit können Vero Zellen Virusinfektion nicht abwehren und eignen sich in besonderer Weise zur Virusproduktion.

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Tierversuche sind artifiziell. Warum kann man nicht vermehrt auf Patientenmaterial zurückgreifen, dass im Rahmen von Operationen anfällt.

Prof. Dr. Ulrich Lauer:
Grundsätzlich gilt: Tierversuche sind artifiziell, humanspezifisches Material hat einen höheren Aussagewert. Wir wissen, dass Tierversuche gut standardisierbare Ergebnisse liefern, allerdings die Variabilität der Tumorbiologie unserer Krebspatienten in keiner Weise abbilden können. Unsere Therapiemethode wird deshalb derzeit noch parallel an Tieren und an Operationsmaterial getestet.

Unsere mittelfristige Zielvorstellung besteht allerdings darin, zumindest einen Teil der bisherigen Tierversuche durch unsere neuartige Methodik (Virotherapeutika-Testung an humanen Operationsmaterialien) zu ersetzen. Die Äquivalenz beider Methoden muss aber zunächst genau evaluiert werden, damit Zulassungsbehörden für Klinische Versuche (im Falle von Virotherapeutika: das Paul-Ehrlich-Institut), auf die Einforderung bestimmter Tierversuche in Zukunft verzichten können und an deren Stelle unsere neuartige, patientenspezifischere Methodik akzeptieren. Hierfür brauchen wir zusätzliche Forschungsmittel und sind dabei, einen entsprechenden Antrag beim BMBF stellen.

Wir danken für das Gespräch.

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